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Bildende Künstler aus der DDR: Grenzgänger, Einzelgänger

Der zweite Blick: Wo sind sie geblieben, die Ost-Künstler? Eine Spurensuche.

Die eine und einzige DDR-Kunst gibt es sowieso nicht. Wohlweislich hieß die Retrospektive der Berliner Nationalgalerie 2003 „Kunst in der DDR“. Damals hoffte man, das Panorama ostdeutscher Kunst wäre endlich angekommen und angenommen im Gefühlshaushalt der Kulturnation. Das war ein Irrtum.

Die Ausstellung „Sechzig Jahre. Sechzig Werke“ im Gropius-Bau präsentiert, sieht man von den Spätgeborenen Neo Rauch, Carsten Nicolai und Eberhard Havekost ab, fast ausschließlich West- Kunst. Neben Wolfgang Mattheuer – Gründervater der Leipziger Schule – vertritt einzig der 1980 aus der DDR ausgebürgerte A. R. Penck das „Beitrittsgebiet“.

Läuft es dem Erfolgsmodell Bundesrepublik zuwider, wenn Ost-Künstler nach dem Seitenwechsel nicht von ihrer skeptischen Weltsicht lassen können? In der DDR war sie ein unverzichtbarer Teil oppositioneller Selbstbehauptung. Und was ist los mit einem Publikum, das zwanzig Jahre nach Mauerfall nichts weiß vom künstlerischen Reichtum der ansonsten armen Brüder und Schwestern? Ist es enttäuschte Liebe, schlechtes Gewissen oder einfach nur Desinteresse?

Die relative Erfolglosigkeit vieler DDRKünstler nach der Wiedervereinigung auf dem Kunstmarkt begünstigte vorschnelle Urteile. Epigonal sei die Kunst aus dem Osten, ideologisch belastet und formal hoffnungslos von gestern. Eines kann man aus solchen Verdikten jedenfalls lernen: Kunst, die unter den Bedingungen einer Diktatur entsteht, begreift man nicht beim schnellen Hinschauen.

Das ist eigentlich das Beste an guter Ost-Kunst: Sie zwingt zur Langsamkeit. DDR-Bürger waren Meister im Zwischen-den-Zeilen-Lesen. Das ist einerseits eine schwere Hypothek für die Rezeption ihrer Kunst nach 1989 gewesen. Von allen Wunschprojektionen befreit, musste sie plötzlich für sich stehen, im direkten Vergleich mit oft plakativeren West-Kollegen. Doch auch das eine Erkenntnis der Berliner Ausstellung von 2003: Viele Werke überzeugen formal und intellektuell – beim zweiten Blick.

Etwa die wunderbaren konstruktivistischen Papierarbeiten, Tafelbilder und Metallskulpturen von Hermann Glöckner, zu denen es im Westen keine wirkliche Entsprechung gibt. Glöckner, Jahrgang 1889, lebte in Dresden: inmitten genau jener Bürgerlichkeit, die der Dresdner Schriftsteller Uwe Tellkamp in seinem Bestseller „Der Turm“ beschreibt. Gestorben ist er 1987 während eines Besuchs in WestBerlin. Ein Grenz- und Einzelgänger, Fossil der künstlerischen Avantgarde um 1930. Und ein Unbeugsamer, der sich selbst in den kulturpolitisch rigiden fünfziger und sechziger Jahren nicht durch den staatlich verordneten Banal-Realismus in Versuchung führen ließ.

Glöckner war die Vater- und Leitfigur, nicht nur für Dresdner Künstler. Zu ihnen gehören so unterschiedliche Temperamente wie Karl-Heinz Adler, Jahrgang 1927, oder Glöckners Ateliernachfolger Max Uhlig. Adler, der konkret-konstruktive Dresdner Maler und Grafiker, schuf seit den Fünfzigern auch Skulpturen und entwickelte mit Friedrich Kracht eine Serie von Betonformsteinen, die, als Stützmauer oder Wandverkleidung, bis heute in vielen Plattenbaugebieten zu finden sind. Angewandte Kunst genoss im Osten einen hohen Stellenwert. Unangepassten bot sie einen Weg aus ideologischen Reglementierungen. In die Produktion gelangten die Entwürfe fast nie.

Der zweite, oft schwerere Weg führte in die künstlerische Autonomie. Der 1937 geborene Dresdner Max Uhlig widmet sich bis heute zielstrebig der Abstrahierung von Porträt und Landschaft in Malerei und Zeichnung – seine schwarzlinigen Bilder lassen sich durchaus mit Giacometti vergleichen. Lange hielt sich der Künstler durch den in der DDR florierenden Handel mit Druckgrafik über Wasser und druckte neben eigenen Blättern die Auflagen befreundeter Künstler.

Für Uhlig und Adler war das Ende der DDR keine Zäsur, konsequent gehen sie ihren Weg weiter. „Souveräne Wege“ hieß 1998 eine Wanderausstellung. Die Künstlerliste liest sich wie ein Who-is-who der „anderen“ DDR-Kunst: Gerhard Altenbourg, Carlfriedrich Claus, Hermann Glöckner, Eberhard Göschel, Michael Morgner, Max Uhlig. Sie alle stellten zu DDR-Zeiten in der Chemnitzer „Galerie oben“ aus. Und natürlich in der legendären wie kurzlebigen Produzentengalerie „Clara Mosch“.

Es ist kein Zufall, dass sich in Dresden, Chemnitz und der sächsischen Provinz Traditionen fernab der DDR-Kunstzentren Leipzig und Berlin etablierten. Mit starken Einzelnen wie dem Multitalent Carlfriedrich Claus, der sein Leben fast ausschließlich im Erzgebirgsstädtchen Annaberg verbrachte. Claus brannte für Existenzialismus und Esoterik, experimentierte mit Sprachen und Klang. Jahrzehntelang korrespondierte der 1998 gestorbene Künstlergelehrte über die Mauer hinweg mit Geistesverwandten wie dem Lyriker Franz Mon oder dem Dadaisten Raoul Hausmann. In unzähligen Zeichnungen und Drucken schrieb er seinen philosophischen Traktat fort. Claus’ „Aurora“-Experimentalraum vertritt – neben Bernhard Heisig – die ostdeutsche Kunst im Reichstagsgebäude.

Doch der bekannteste der ostdeutschen Künstler-Einsiedler ist Gerhard Altenbourg, geboren 1926 als Gerhard Ströch. Seinen – französisierten – Künstlernamen wählte er nach der Heimatstadt Altenburg in Thüringen. Altenbourg, Teilnehmer der 2. documenta 1959 in Kassel, hätte mit seinen fein gesponnenen Traumbildern im Westen spielend Karriere gemacht, wäre nicht der Mauerbau dazwischengekommen. Doch schon 1964 veranstaltete der West-Berliner Galerist Dieter Brusberg, damals noch in Hannover, seine erste Altenbourg-Ausstellung. Brusberg hat viel zum händlerischen Erfolg und Nachruhm des 1989 bei einem Verkehrsunfall gestorbenen Künstlers beigetragen. 2003 half der einst wichtigste Händler für DDR-Kunst im Westen bei der Organisation der großen Altenbourg-Retrospektive im Düsseldorfer K20, die dann weiter nach Dresden und München ging. Der damalige K20-Chef Armin Zweite setzte den Ost-Künstler gegen Widerstände im eigenen Haus durch.

Altenbourg, Glöckner, Claus: Sie und andere bemerkenswerte Ost-Künstler werden von Museen und Privatleuten gesammelt. Und sind trotzdem noch immer nicht in dem Maße anerkannt, wie sie es mit einer westdeutschen Biografie längst wären. Tellkamp hat es mit seinem Roman „Der Turm“ vorgemacht. Das Verschachtelte, Komplizierte, Verschrobene entspringt einem eigenen Kosmos. Unbekannte DDR: Es ist Zeit, sie zu entdecken.

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