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Kultur: Bilder eines jungen Gotts

Der Kunsthandel Wolfgang Werner zeigt Corinth

Er war schon ein älterer Herr, aber seine Tochter, die war jung, denn ihre Konfirmation stand gerade erst bevor. Und deshalb zeichnete der Vater am Vorabend der Feierlichkeiten einen Blumenstrauß – Anemonen. Das mit Widmung an seine „liebe Wilhelmine“ versehene Aquarell vom 19. März 1925, ein furioses Gewirr aus tiefblauen, roten und violetten Farbtönen, ist eines der Werke von Lovis Corinth, die derzeit in der Galerie des Kunsthandels Wolfgang Werner zu sehen sind.

Corinth, 1858 in Tapiau in Ostpreußen als Sohn eines Gerbers geboren und drei Monate nach den „Anemonen“, während einer Holland-Reise verstorben, hatte die Statur eines Bierkutschers, aber malen konnte er wie ein junger Gott. In der Zwischengeneration derer, die ihre künstlerische Prägung noch ganz im 19. Jahrhundert erhalten haben, doch in ihrem Schaffen bis weit ins 20. Jahrhundert hineinreichen, ist er sicher mit Abstand der kraftvollste und auch virtuoseste deutsche Künstler.

Zu den ergreifendsten seiner Arbeiten zählen die Selbstporträts – lebenslange Befragungen des Ichs, die seine Charakterzüge, Stimmungen und Launen in all ihren Facetten wiedergeben. Und so ist man fast versucht, die Hauptwerke dieser Ausstellung nicht in den beiden großen Gemälden zu erkennen, die dort prominent präsentiert werden. Sondern in den vier Blättern, auf denen Corinth sich zwischen 1916 und 1925 vor dem Spiegel malte (44 500 – 64 000 Euro). Da erscheint er in sich hineinhorchend, nach seinem Inneren forschend. Dann wieder zeichnet er sich lachend, bis sich sein Antlitz vor Vergnügen diabolisch verzerrt. Kurz bevor er stirbt, malt er sich in düsterer Ahnung als seine eigene Totenmaske. In allen diesen Aquarellen, Tinten- und Bleistiftzeichnungen zeigt sich der unbändige Wille zur Entäußerung, zur Darstellung intimster, fragilster seelischer Zustände, die den Künstler in ihrer schonungslosen Offenbarung in die Nähe des Schmerzensmannes rückt.

Gegen eine solche künstlerische Wucht haben es selbst die großen Werke in Öl nicht leicht, auch wenn es sich dabei um ausnehmend qualitätvolle Bilder handelt. Beide stammen aus der Zeit vor seinem Schlaganfall: Bei dem 1902 entstandenen imposanten Bildnis seiner Schülerin und späteren Ehefrau Charlotte Behrend führte ihm nicht nur seine velazqueske Kunstfertigkeit die Hand, sondern offenkundig auch bereits sein Herz (390 000 Euro). Das Stillleben mit Fasan und Weinglas von 1908 wiederum beweist, welch ein begnadeter Kolorist der Maler war (215 000 Euro).

Den Corinths hat Wolfgang Werner einige museale Werke von Zeitgenossen zur Seite gestellt: Zwei Worpswede-Ansichten von Paula Modersohn-Becker (120 000 / 135 000 Euro), eine spätherbstliche „Düstere Landschaft“ von Franz Radziwill mit schwefelgelbem Himmel und einsamem Gehöft (132 000 Euro). Sowie Skulpturen von Hans Belling, ein „Kopf“ von 1925 und ein „Schreitender Mann“ (140 000/ 120 000 Euro). Belling war ungefähr 30 Jahre jünger als Corinth – deutlicher hätte die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Generationen nicht formuliert werden können.

Kunsthandel Wolfgang Werner, bis 18. Januar, Fasanenstraße 72, Montag bis Freitag 10 – 18.30 Uhr, Sonnabend 10 – 14 Uhr.

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