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Kultur: Bildhauerei: Atmende Hüllen

Eines war Julio Gonzales bestimmt nicht: dogmatisch. Um 1940 schuf der spanische Bildhauer, der jahrzehntelang in Paris lebte, ein Skizzenblatt mit zwei Köpfen.

Eines war Julio Gonzales bestimmt nicht: dogmatisch. Um 1940 schuf der spanische Bildhauer, der jahrzehntelang in Paris lebte, ein Skizzenblatt mit zwei Köpfen. Rechts ein leicht abstrahiertes Frauengesicht, das sehr plastisch und kompakt wirkt, eine typische Bildhauerzeichnung, und links eine kubistische Maske, deren Oberfläche aus einzelnen, scharf voneinander abgesetzten Teilstücken zusammengesetzt ist - vielleicht der Entwurf zu einer Plastik? Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen scheint für den Künstler kein Problem gewesen zu sein. Überaus wandlungsreich ist sein Werk, das machen die 13 Skulpturen und zahlreichen Zeichnungen in der Ausstellung deutlich. Den Kubismus hatte Gonzales schon lange vor 1940 entdeckt - jedoch recht spät, wenn man bedenkt, dass er bereits in den Jahren vor 1910, just zur Geburtsstunde des Kubismus, mit Picasso persönlich in Berührung gekommen ist. Um 1910/14 wirken die Plastiken noch ziemlich traditionell: Der kleine stehende weibliche Bronze-Akt, "Nu debout mélancholique" (75 000 Mark), erinnert in der Körpersprache und der fast impressionistischen Behandlung der Oberfläche stark an Rodin. Zu einer Verfestigung der Formen kam es erst später. Hinreißend etwa ist der einsam liegende, um 1934 entstandene "Schlafende Kopf" (165 000 Mark), eine Adaption von Brancusis berühmter "Schlafender Muse". Die kostbare Eleganz des Rumänen ist bei Gonzales einer unglaublich wuchtigen, kraftvollen Archaik gewichen. Als die Plastik entstand, arbeitete der Bildhauer bereits seit Jahren im Atelier von Picasso. Hier gestaltete er auch seine vielleicht schönste Werkgruppe: Köpfe, Torsi, Körperfragmente aus Eisenblech. In der Form reduziert, scheinen die geschnittenen, leicht gewölbten Bleche, gleich einer atmenden Hülle, von organischem Leben durchströmt zu sein. Die Kunst liegt hier, etwa beim abstrahierten "Fuß" von 1934/36 (140 000 Mark), in einem Reichtum der Andeutung, der umgekehrt proportional zur Einfachheit der Form steht. Der Kubismus half Gonzales, die Dinge in ihre Einzelbestandteile zu zerlegen. Mit diesen Plastiken kehrte er zum Leben zurück.

MK

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