zum Hauptinhalt

Kultur: Billig – da stehste doch drauf

„99 Cent“: Das neue Album der Chicks on Speed ist ein Manifest für die Massen

Vielleicht würde es sie gar nicht geben, wenn es leichter wäre, die Kontrolle zu behalten. „Wir wollen die Kontrolle behalten“, sagen die drei Frauen, allesamt um die dreißig, und lachen. Dabei klingt das gar nicht komisch. Kontrolle ist unsexy, anti-cool, spießig. Etwas für Leute, die immer das richtige kaufen wollen, um keine Verluste zu machen. Die Umwege hassen. Die Experimente verachten. Alles Dinge, von denen Künstler in der Regel zehren. Und Kiki Moorse, Melissa Logan und Alex Murray-Leslie sind Künstlerinnen, da besteht kein Zweifel. Andererseits wollen sie eben auch die Kontrolle behalten.

Mit „99 Cent“ bringt das Wahlberliner Frauen-Trio Chicks on Speed sein drittes und, so viel sei vorweg gesagt, mit Abstand bestes Album heraus (Labels). Seine Botschaft lässt sich in dem simplen Satz zusammenfassen: „Do it yourself before its done to you“ – Beute dich aus, bevor es die Anderen mit dir tun. Das 54-minütige Werk, bei dem die Chicks, wie gewohnt, auf höchst versierte Produzenten vertrauten, strotzt vor kapitalismuskritischen Bemerkungen und ist ein ironisch-euphorischer Abgesang auf das große Dingsbums namens Pop. „Sell out“ (Ausverkauf) lautet dessen Devise, 99 Cent sind ja nun wirklich auch kein Geld.

„Cheap art“ nennen die Chicks on Speed ihr Konzept der anti-kommerziellen Unterwanderung der Konsumkultur. Kunst für die Masse wollen sie machen, die sich von der Masse gleichzeitig distanziert. Nicht elitär, indem sie vorführen, was alle anderen nicht fertig bringen. Vielmehr inszenieren sie sich in der Tradition von Bands wie Die Tödliche Doris als geniale Dilettanten, die in alle möglichen Kunst-Disziplinen ausscheren und mit ostentativer Unschuld die Symbolsprache des Popkapitalismus demontieren. Das Derbe, Plakative und Billige gehört zu ihren Kunstmitteln. Aber auch das Naive. Anleihen bei den Roches und den Shaggs sind unverkennbar. Wie jene Schwestern, die sich in den Siebzigerjahren zu obskuren Mädchen- Bands zusammentaten, trällern die Chicks unbekümmert ihre hintersinnigen Songs: „Living the high life as the girlfriend of a star/ A circle of friends who were girlfriends of stars/ She’s in no good mood, he orders the car/ She tells the driver to drive really far.“

„99 Cent“ ist nach der Malaria-Adaption „Kaltes Klares Wasser“, die den drei Damen 2001 sogar einen Nummer-eins-Hit bescherte, die erste Platte, die man mit Genuss hören kann. Jeder Song ist ein gelungenes kleines Stück Pop-Geschichte, das an die Blüte von New Wave und an die Achtziger erinnert. Sei es ein Rocksong wie „Shooting From The Hip“, der vom Ende aller Moden erzählt, die Missy-Elliot- Hommage „Coventry“ oder das zärtlich-traurige Liebeslied „Love Life“, die elf Stücke reihen sich mit großer Würde aneinander.

Dabei wollen die Kiki, Melissa und Alex gar keine Band sein. „It’s a project“ nennen sie ihr im Dezember im englischen Booth- Clibborn-Verlag erscheinendes Buch programmatisch. „Wir sind nie Musikerinnen gewesen“, erläutert Alex, eine gebürtige Australierin. Sie würden sich vielmehr als bildende Künstlerinnen verstehen, deren Gesamtwerk sich aus selbst gefertigten Mode-Kollektionen, graphischen Design- Entwürfen und einem Platten-Label (CoS Records) zusammensetzt. Chicks on Speed, das ist eine lebendige Pop-Skulptur, die wie eine Band aussieht – und auch so funktioniert.

Den Anfang machten die Australierin und ihre amerikanische Kommilitonin Melissa an der Münchner Kunstakademie. Sie malten Bilder, doch schon bald begannen sie, illegale Partys zu organisieren. Ihren ersten Auftritt absolvierten zu dritt, die ehemalige Münchner Stylistin und Moderedakteurin Kiki schloss sich ihnen für eine Performance als Fake- Band an. „I Wanna Be A DJ, Baby“ hieß das 1997, als sie hinter Plattentellern standen und sich gegenseitig Pappschallplatten zuwarfen.

Vor der ohrenbetäubenden Lautstärke ihrer Happenings, bei denen sie sich zuweilen Scheuerlappen um die Hüften banden oder in Strickkleidern auftraten, die wie Scheuerlappen aussahen, schreckte die Kunstgemeinde zurück. Die Medien hingegen reagierten begeistert auf diese feministische Pop-Offensive. „Vielleicht ziehen wir unsere Röcke aus, aber wir werden niemals Hosen tragen“ – mit derlei Sprüchen erwarben sie sich schnell internationale Reputation und die Verehrung von Leuten wie BBC-Papst John Peel und Talking-Heads-Frau Tina Weymouth. Vielleicht zu schnell, denn sie hatten nie Zeit, sich über ihr künstlerisches Profil klar zu werden.

Vielmehr entwickelte das Trio ein Rezept der Selbststilisierung, man könnte auch sagen: Sie lernten, das letzte Wort zu haben. „Pressing the Press“ lautete eine Aktion, bei der sie auf einer Pressekonferenz all die Kommentare verlasen, mit denen sie seitens der Presse bedacht worden waren. „Beinahe schon Poesie“ sei das gewesen, sagt Kiki und schmunzelt über den Einfallsreichtum der männlichen Kritiker. Wenn es billig wird, beginnen sie zu dichten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false