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Kultur: Billiger singen

Sparen ist nicht genug: Wie geht es weiter mit der Opernstiftung? Ein Ortstermin im Abgeordnetenhaus

Fast fühlt man sich an diesem Montagmorgen wie im perfekten Wintertraum. Ein stahlblauer Himmel wölbt sich über dem Abgeordnetenhaus, Langläufer ziehen durch den nahe gelegenen Tiergarten mit roten Backen fröhlich schnaufend ihre Bahn, Eiszapfen und Schneekristalle glitzern und funkeln allüberall um die Wette. Auch drinnen, in Raum 367, im Unterausschuss Theater lauter blankgeputzte, wohlwollende Mienen. Nur Michael Schindhelm, der Generaldirektor der Opernstiftung, sieht ein bisschen zerknautscht aus. Das sprichwörtliche Sitzen zwischen allen Stühlen (in Basel wie in Berlin), es zehrt offensichtlich.

Auf der Tagesordnung: der Wirtschaftsplan der Opernstiftung für 2006. Eine schwierige, heikle Mission. Da sage noch einer, unsere Landespolitiker hätten keinen Hang zum Galgenhumor, ja gar zur Poesie! Auf der Suche nach dem Kultursenator jedenfalls, der sich von seiner Staatssekretärin Barbara Kisseler vertreten lässt, überschlagen sich die Metaphern. Thomas Flierl mache hier wohl „einen schlanken Fuß“, witzelt die FDP, während die CDU ihn zum „politischen Haubentaucher“ erklärt. Und Alice Ströver (Bündnis 90/Die Grünen) schließlich bleibt es vorbehalten, den Boden der Tatsachen zu beschwören: Flierl habe das Abgeordnetenhaus in den vergangenen Monaten (Wirtschaftspläne mit rätselhaften Poststempeln, ein kurzfristig abgesagter Unterausschuss) in der Sache konsequent „hinter die Fichte“ geführt.

Doch Spaß beiseite. Die Lage ist ernst, ja „dramatisch“ (Schindhelm). Wie ernst, das verraten die Zahlen, die sich im Lauf der gut zweieinhalbstündigen Sitzung herauskristallisieren. Neu sind sie allesamt nicht, neu ist auch nicht, dass die Opernstiftung darauf nur „vorläufige Antworten“ kennt. Neu könnte allerdings sein, dass der Politik im Blick auf den größten Posten im Berliner Kulturetat der Geduldsfaden reißt und sie das Ganze mit einem „vorläufigen Haushalt“ kontert. Da macht es leider auch wenig Eindruck – so recht sie hat! –, dass Barbara Kisseler ein geradezu flammendes Plädoyer für den „lebenden Organismus“ hält, den die Berliner Opernhäuser miteinander bildeten, für den „Mentalitätswandel“, den es an vielen Stellen zu bedenken gelte, ja überhaupt für die komplizierte „psychosoziale Befindlichkeit“ der vier Betriebe (inklusive Staatsballett).

Macht die Stiftung also ihre Arbeit nicht? Da sind zum einen die Ziele bis 2009, festgehalten im „Opernstrukturkonzept“ zur Stiftungsgründung vor zwei Jahren. Diese sehen neben der sukzessiven Zuschussabsenkung von 112 Millionen Euro auf 99 Millionen einen Abbau von 220 Stellen vor sowie eine deutliche Steigerung der Besucherzahlen. Derzeit sind dies 726 000, man wünscht sich jährlich 200 000 mehr. Erreicht werden soll dies durch pauschale Minderausgaben und Strukturreformen (u.a. Bildung einer Bühnenservice GmbH, Lösung der Werkstättenfrage). Für 2006 liegt man im Plan, zumal die Zuschusskürzung sich auf vergleichsweise verträgliche zwei Millionen Euro beschränkt.

Doch was ist mit den Folgejahren? 2007 müssen vier Millionen eingespart werden, 2008 sechs Millionen, 2009 noch einmal 3,2 Millionen. Eine Rechnung, die nicht einmal auf dem geduldigsten Papier aufgehen kann, ja, die selbst dann nicht stimmt, wenn man ab 2007 spaßeshalber eine Auslastungsziffer von 100 Prozent für alle Häuser annähme. Nur zur Orientierung: Die Netto-Auslastung der Staatsoper lag 2005 durchschnittlich bei etwa 75, die der Deutschen Oper bei 57, die der Komischen Oper bei 53 Prozent. Tendenz: schwierig – zumal diverse bauliche Maßnahmen diese Zahlen kaum in die Höhe schnellen lassen werden (so schließt die Deutsche Oper in einer ersten Phase ab diesen Mai). Die Sanierung der Staatsoper übrigens, die dank Bund und privater Investoren nun in Angriff genommen werden könnte, findet haushalterisch auf keinen Fall vor 2008 statt.

Die „Bugwelle“ der Probleme wird also weiter wachsen, das „Delta der Zuschussabsenkungen“ ist nicht zu schließen. Befragt nach einer mittelfristigen Perspektive und nach Lösungsansätzen wird Michael Schindhelm an diesem Vormittag unvermittelt persönlich: Er werde sich in den nächsten Wochen ein exaktes Bild der Lage machen und mögliche Konsequenzen bedenken. Vielleicht brauche es neben dem Opernstrukturkonzept ja eine Art „Risikomanagement“. Denn, so Schindhelm, der nach eigenem Bekunden in den 15 Monaten seines Engagements hauptsächlich damit beschäftigt war, „Datenmaterial“ zu sichten und „Basisstrukturen“ zu schaffen: „Ich vertrete hier viele Dinge, die nicht von mir gemacht sind.“ Zahlen auf Knopfdruck seien eine Illusion, mit den neuen Verwaltungsdirektoren an der Deutschen wie an der Komischen Oper liefen die Gespräche gerade erst an. Nach großem Vertrauen in die Zukunft klingt das nicht.

Aus der schöne Wintertraum? Wolken über der Stadt, Schneegrieseln, es taut. Die nächste Sitzung des Unterausschusses Theater ist am 8. Mai.

Christine Lemke-Matwey

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