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Charismatikerin. Petra Kelly auf dem Höhepunkt ihrer Karriere 1983. Ein langer Prozess der Entfremdung von den Grünen folgte.Foto: vario

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Biografie: Petra Kelly - die Jugendliche

Eine neue Biografie rehabilitiert Petra Kelly als wichtigste Gründerin der Grünen.

Von Hans Monath

Kaum eine andere öffentliche Person der Nachkriegszeit hat sich so schnell und gründlich aus dem Gedächtnis der Deutschen gestohlen wie Petra Kelly. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere war die Grünen-Politikerin und Vorkämpferin der Friedensbewegung eine der bekanntesten deutschen Politikerinnen. Ihre Anhänger feierten sie als Jeanne d’Arc der Gegenwart. Ihre Gegner stieß ihr aggressiver Gesinnungsmissionarismus ab, der zwischen Gut und Böse keinen Kompromiss kannte.

Doch schon lange bevor die Deutsch- Amerikanerin Anfang Oktober 1992 von ihrem Lebensgefährten Gert Bastian durch einen auf die Schläfe aufgesetzten Schuss getötet wurde, war es um die einstige Galionsfigur der neuen sozialen Bewegungen still geworden. So still, dass fast drei Wochen vergingen, bevor die Leichen von Kelly und Bastian in Bonn entdeckt wurden. Der Ex-General, auch er ein prominenter Streiter gegen die Nachrüstung, hatte sich nach dem Schuss auf Kelly selbst getötet. Die Ausnahmeerscheinung, so urteilt nun die erste wissenschaftliche Biografie Petra Kellys, sei mit dem Erwachsenwerden ihrer Partei „in Vergessenheit geraten“. Die Autorin Saskia Richter, eine Politikwissenschaftlerin, erforscht darin penibel genau, wie Kelly in einer Umbruchszeit zur öffentlichen Figur und Weltveränderin mit charismatischer Ausstrahlung wurde. Dass Kelly selbst unter gesundheitlichen Problemen litt und von Angstattacken gepeinigt wurde, war in groben Zügen bekannt. Wie ihr eigenes Leiden an der Welt zur Voraussetzung ihres Wirkens wurde, hat aber noch kein Autor so detailliert nachvollzogen und so gut begründet dargestellt wie Richter. Das macht ihr Buch zu einer stellenweise bedrückenden Lektüre.

Im Februar 1970 war Kellys Halbschwester Grace im Alter von zehn Jahren an Krebs gestorben. Ihr Tod wurde für die Ältere zu einer traumatischen Erfahrung und gleichzeitig zu einem Ausgangspunkt ihres politischen Engagements. Denn Kelly war überzeugt, dass die Strahlentherapie die Zehnjährige zu Tode gebracht hatte – und begann einen langen Feldzug gegen nukleare Strahlung, die ihr so tückisch und gefährlich erschien. Von nun an kämpft sie auf allen Ebenen gegen die zivile und militärische Nutzung der Atomkraft. Wichtige Anregungen für die Mobilisierung der Öffentlichkeit hatte sich Kelly während ihrer Ausbildung in den USA geholt, wohin ihr Stiefvater, ein amerikanischer Soldat, die in Bayern lebende Familie geholt hatte.

„Möglicherweise die wichtigste Gründungspolitikerin der Grünen in Deutschland“ ist Kelly für ihre Biografin. Die Einschränkung („möglicherweise“) ist gut begründet. Denn Menschen begeistern und für eine veränderte Welt mobilisieren konnte sie, solange die Nachrüstung noch nicht vollzogen war. Was sie ausweislich dieser Biografie nicht konnte, ist politischen Alltag gestalten, Allianzen schmieden, einen Parteiapparat bedienen, Schritt für Schritt eigene Ziele voranbringen und dazu Kompromisse eingehen. Auch mit den eigenen Kräften haushalten konnte die Charismatikerin nicht. Kaum in den Bundestag gewählt, überwarf sie sich mit der eigenen Fraktion, weil sie als Star die Rotation verweigerte. Ein Beitrag zu ihrer eigenen „politischen Dekonstruktion“, wie Richter das nennt. Sogar Joschka Fischer, der aufstrebende Realpolitiker in der Partei, unterwarf sich dem Zwang, nach zwei Jahren im Bundestag einem Nachrücker Platz zu machen.

Einst hatte Kelly für die Grünen den Begriff der „Antipartei(en)-Partei“ geprägt. Nun entfremdete sie sich von den Grünen, zu deren Erfolg sie mit ihrer Ausstrahlungskraft wesentlich beigetragen hatte. Ihren „parteipolitischen SuperGAU“ (Richter) erlebte Kelly im Frühjahr 1991. Bei der Wahl zum Parteivorsitz der Grünen erhielt sie gerade einmal 32 von 660 abgegebenen Stimmen.

Nie erliegt die Autorin der bequemen Versuchung, ihre Protagonistin ohne den gesellschaftlichen Kontext erklären zu wollen. Deshalb ist ihr Buch auch eine Darstellung der psychosozialen Lage Deutschlands im Zeitalter der gefühlten Apokalypse während der 70er und 80er Jahre. Petra Kelly, so fasst die Autorin zusammen, sei es gelungen, mit ihren politischen Symbolen und ihren öffentlichkeitswirksamen Auftritten gesellschaftliche Ängste zu spiegeln und Orientierungen vorzugeben. Als die Friedensbewegung aber ihren Höhepunkt überschritten hatte, war auch Kellys Charisma aufgebraucht. Die Beweglichkeit der grünen Realpolitiker war ihr fremd, die nicht mehr den Systemwechsel predigten, stattdessen nun politische Teilziele ansteuerten oder sich neue Themen suchten. „Wie jemand, der als alternder Mensch in einer Jugendbewegung hängen geblieben ist, behielt Petra Kelly ihren Idealismus bei“, schreibt die Autorin.

Der Satz klingt kalt. Aber eine Biografie, die sich jeder Heldenverehrung verwehrt und der Aufklärung verpflichtet fühlt, darf auch vor harten Urteilen nicht zurückschrecken. Klar wird bei der Lektüre auch: Nicht nur die „Aktivistin“ Kelly selbst, auch die Zeit, in der sie gewirkt hat, ist uns nach einem Vierteljahrhundert sehr fremd geworden.

Saskia Richter: Die Aktivistin. Das Leben der Petra Kelly.

DVA, München 2010, 528 Seiten, 24,99 Euro.

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