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Der norwegische Schriftsteller Tomas Espedal, 55.

© Dag Knudsen

„Biografie. Tagebuch. Briefe“ von Tomas Espedal: In der Zwielichtzone

Schreiben ohne Richtung und Rücksicht: „Biografie. Tagebuch. Briefe“ vereint drei frühe Bücher des norwegischen Schriftstellers Tomas Espedal.

Wenn Tomas Espedal am Schreibtisch sitzt, trägt er seine besten Kleider. Von seinem Platz am Fenster aus kann er die Fabrik sehen, in der sein Vater arbeitet. Etwas weiter entfernt steht das Haus seiner Kindheit, ein blau gestrichenes Reihenhaus. Dort gibt es das Jugendzimmer und das Zimmer der Schwester. „Dieses Zimmer verströmt nichts außer Stille. Die Eltern schlafen nebenan. Das rote Licht des Radioweckers, die Zeit ist stehen geblieben, als würden wir schon heute Abend durch die Tür hinausschleichen“. Dazu mag jene Vorstellung passen, die er einmal vom Schreiben entworfen hat, eine Vorstellung, die alles kennt, aber kein Ziel: „Weiterschreiben ohne Richtung / ohne Plan / keinen Roman, kein Gedicht, nur einen Versuch (...) / zu schreiben ohne Rücksicht / auf irgendetwas.“

Tomas Espedals Texte gleichen einem einzigen großen Buch der Abwesenheit und des Verschwindens. Indem er in Skizzen und Notaten scheinbar über etwas ganz anderes schreibt, tastet er grundlegenden Entbehrungen nach, dem Tod von Freunden und geliebten Menschen etwa, vor allem aber der eigenen Angst. Es sind immer wieder Atmosphären des Halbwachens, die der norwegische Autor ins Schreiben holt, „weder zu Hause noch fort“ führt er seine Sätze in eine „Zwielichtzone“, in der die Konturen sich auflösen. Zugleich durchzieht dieses Schreiben eine deutlich spürbare Lust, dem vermeintlich Autobiografischen nachzufragen, wohlwissend, von Anfang an, dass es sich bei Literatur immer um etwas Gemachtes handelt. Anders als sein schreibender Kollege Karl Ove Knausgård geht Espedal mit seinen Details nicht in die Fläche. Vielmehr liebt er es, über das Schreiben nachzudenken und mit Formen zu spielen. Nicht von ungefähr trägt das neue Buch den Titel „Biografie. Tagebuch. Briefe“. Wobei die deutsche Ausgabe drei Bände unter einem Buchdeckel versammelt, die in Norwegen zwischen 1999 und 2005 in Einzelausgaben erschienen sind.

Ein fast meditatives Aufgehen in Fragmenten

Schon beim ersten Lesen wird deutlich, wie genau Espedal an seiner Sprache arbeitet. Immer gelte es, wie er notiert, Wörter zu sammeln und den ersten Satz aus ihnen hervorzutreiben – auf dass die Sprache leuchten möge. Es ist ein Schreiben der Konstellationen, das in diesen frühen Büchern sichtbar wird, ein bisweilen fast meditatives Aufgehen in Fragmenten und Verwandlungen, in denen die Momente eher lose durch Ähnlichkeiten oder Details aufeinander verweisen, als dass sie logisch verknüpft wären. „Mir wurde früh klar, dass meine eindrucksvollsten Erlebnisse dort stattfanden, wo nichts geschah: hinter einer Tür, in einem Schrank versteckt, in der Dunkelheit hinter den Gardinen oder in den langen Stunden, in denen ich tief im Gras und im Moos lag.“

Zugleich wirkt das Buch wie eine erste Annäherung an jene Motive, die Espedal in seinen späteren Büchern durchspielen wird. Seine Aversion gegen das Wohnen und Ankommen etwa. Einer klischeehaften Vorstellung von Zuhause hält er die Idee des Unterwegsseins entgegen. Oder jenes Gehen über den „Untergrund aus Gras und Moor und Gedanken“, das auch die Suche nach einer ganz neuen Art ist, derselbe zu sein. Einige Jahre später wird daraus eine eigene Poetologie der Bewegung werden, die sogar in den Titel des Buches einwandert: „Gehen: oder die Kunst, ein wildes und poetisches Leben zu führen“.

An der Grenze zum Kitsch

Vor allem anderen stehen aber die Meditationen über den Tod seiner Mutter und den fast zeitgleichen Tod seiner Lebensgefährtin Agnete. In „Wider die Kunst“ und „Wider die Natur“ wird Tomas Espedal seinen Erzähler diese Trauer in ein brüchiges Porträt der Familie umschreiben lassen. Wo er dort immer wieder die Struktur aufbricht und der Text für Momente nur noch aus Notaten besteht, ist es in den drei frühen Bänden umgekehrt: Hier ist eigentlich alles Fragment – und nur vereinzelt gibt es längere Erzählstrecken. Dazu benutzt Espedal unterschiedlichste Formen, fast hat man den Eindruck, er teste sie auf ihre Brauchbarkeit für sein Schreiben, einerlei, ob es sich um tagebuchartige Skizzen handelt, um Denkbilder oder um eine Form des erzählenden Langgedichts.

Eine brave Familiengeschichte, das zeigt er schon in „Biografie“, kann und will er nicht erzählen. Eher faltet er die Dinge in mosaikartigen Bildern auf. Seine Grenze hat dieses Unternehmen allerdings dort, wo er allein auf vermeintlich elementare Wörter setzt, „Haut“ etwa, „Mund“ oder „Holz“. Oder wo er ohne Umwege über Momente der Liebe und des Krieges schreibt. An solchen Stellen rutscht ihm die Sprache – „so weh und kalt“ – nicht selten über die Kitschlinie.

Hinrich Schmidt-Henkelhat den Rhythmus von Espedals Sätzen gut im Deutschen nachgeformt. In den besten Sätzen fließen die Zeiten und Bilder ineinander. Dann kann man mit Tomas Espedal im Gras liegen, in den Schrank kriechen oder sich einfach auflösen, „verschwinden im Dreieck aus Türrahmen, Linoleum und Schatten“.

Tomas Espedal: Biografie. Tagebuch. Briefe. Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Matthes & Seitz, Berlin 2017. 352 Seiten, 25 €.

Nico Bleutge

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