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Biographie über Carla Mann: Im Schatten

Die erste Biographie über Carla Mann.

Als Carla Mann im März 1904 an ihren Bruder Heinrich schrieb, sie führe nun ein Leben, das mit „Literatur, Ästhetik und Sekt getränkt“ sei, war sie vorübergehend voller Zuversicht. Die junge Schauspielerin hatte nicht nur in Düsseldorf ein erstes ernst zu nehmendes Theaterengagement gefunden, sondern auch einen Menschen kennengelernt, der sie „aus dem Leben“, in das sie „geraten war, einfach herausfischte“. Dabei handelte es sich um den reichen und gebildeten Getreide- und Kunsthändler Alfred Flechtheim. In Wirklichkeit dürfte Carla Mann vor allem von der „jüdischen Geistigkeit“ des Kunsthändlers fasziniert gewesen sein. Wie Willi Jasper in seiner akribischen Biographie zeigt, waren es immer wieder solche „Seelenfreundschaften“, die der jüngsten Schwester von Thomas und Heinrich Mann zwar für kurze Zeit Halt gaben, dann aber zwangsläufig zur Enttäuschung wurden. Alfred Flechtheim war homosexuell, auch Carlas elsässischer „Verlobter“ Arthur Gibo, der bei ihrem frühen Tod eine unklare Rolle spielte, zeigte sich ihr gegenüber nur zur „geistigen Liebe“ fähig. Eine Ausnahme war Carlas Freundschaft mit dem Philosophen und Kritiker Theodor Lessing. Wie Jaspers Auswertung des bislang unveröffentlichten Tagebuchs Lessings zeigt, hat er Carla verehrt – als Frau und Künstlerin. Thomas Manns Verhältnis aber war distanziert, er kommentierte ihre Schauspielkunst hämisch, für ihren bohèmehaften Lebensstil hatte er weniger Verständnis als Heinrich. Im Umgang mit ihr schlug sich der eskalierende Streit der Brüder nieder. Heinrich unterstützte die Schwester materiell und intellektuell, beutete zugleich aber ihr Leben und ihre Amouren für seine eigenen literarischen Zwecke aus. Carla wiederum nahm sich seine tragischen Heldinnen zum Vorbild – vermutlich auch für ihr Sterben. Am 30. Juli 1910 starb sie in Polling, offensichtlich an den Folgen einer Blausäurevergiftung. Von einem „natürlichen Tod“ war die Rede; eine Obduktion blieb aus, obwohl die Verstorbene erst 28 Jahre alt war. In der Familie Mann wurde das Thema tabuisiert oder mit Legenden umsponnen. Jasper hat das Familiengeheimnis untersucht und ist auf Ödipuskomplex, Kinderwunsch, Geschwisterliebe und Homosexualität gestoßen. Deutlich fällt sein Urteil über die Brüder aus: Anders als Heinrich, der eine Mitschuld an Carlas Tod einräumte, wies Thomas dies von sich. Gefühlskalt sah er im Freitod der Schwester einen „Verrat an unserer geschwisterlichen Gemeinschaft“. Carla Manns dramatisches Schicksal dient Jasper als „Schlüssel zum tieferen Verständnis der gesamten Tragik der Dichterfamilie“. Da die Schauspielerin sich nicht aus den zerstörerischen und selbstzerstörerischen Tendenzen der Schriftstellerdynastie habe lösen können, sei am Ende ihr Bemühen, Kunst und Leben in Einklang zu bringen gescheitert. In der Geschichte der Familie , deren letzte große biographische Lücke Jaspers Buch schließt, war ihr Tod nur der erste in einer langen Reihe von Suiziden.Moritz Reininghaus Willi Jasper: Carla Mann. Das tragische Leben im Schatten der Brüder. Propyläen Verlag, Berlin 2012. 240 Seiten, 19,99 . – Der Autor und die Schauspielerin Inga Busch stellen das Buch am Donnerstag, dem 4.10., um 20 Uhr in der Autorenbuchhandlung Berlin am Savignyplatz vor.

Moritz Reininghaus

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