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Birgit Minichmayr: „Ich hatte diesen Drang, Gott zu verfluchen“

Dem Freund ein Messer reinrammen? München, ein Polizeistaat? Goethes Sprache? Birgit Minichmayr über das Böse und das Gute auf dieser Welt.

Frau Minichmayr, können Sie sich eigentlich noch unbefangen hinters Steuer setzen?

Warum denn nicht?

In „Gnade“, Matthias Glasners Wettbewerbsbeitrag auf der Berlinale, spielen Sie eine Frau, die ein Kind totgefahren hat und Fahrerflucht begeht.

Ich habe zum Glück eine gesunde Distanz zu meinen Figuren, sobald ein Film abgedreht oder ein Theaterstück zu Ende ist. Es gibt Kollegen, die sich nach der Vorstellung nicht richtig verbeugen können, weil sie aus ihrer Rolle nicht rauskommen. Was mich allerdings nicht sehr beeindruckt. Im Gegenteil, mich umweht immer ein leichter Anflug von Fremdschämen, wenn dieses Nachzittern als Qualitätsnachweis ausgelegt wird. Ich kann mit dieser Form von Eitelkeit nichts anfangen. Mir ist schon immer klar, dass ich nicht Lady Macbeth bin.

Wenn man liest, was seit Ihrem aktuellen Bühnenerfolg „Der Weibsteufel“ von Karl Schönherr über Sie geschrieben wurde, scheint die Trennung nicht so eindeutig. Der „Spiegel“ etwa nannte Sie „eine Frau zum Anbeten und zum Fürchten“: ungestüm, grob, zerbrechlich und sexy. Die „Zeit“ schrieb: „Sie ist die Frau, die Männer nicht ver- sondern vorführt.“

Und dann hat sie auch noch diesen Schmollmund und so eine Reibeisenstimme! Man versucht mich und die Begehrlichkeiten, die meine Figuren ausstrahlen, zu kategorisieren, und manchmal vermischt sich das stark mit den Projektionen der Autoren. Es sind ja immer Männer, die so über mich schreiben. Frauen würden nie erwähnen, dass ich beim Interview High Heels trage, zumal es ja auch nur ganz normale Absatzstiefel sind. Mit mir und meinem Leben hat das alles nichts zu tun.

In Ihrem Beruf schöpft man doch aus dem eigenen Leben.

Natürlich, ich schöpfe vor allem aus meinem Leben, aber eben auch aus meiner Vorstellungskraft und aus meiner Erlebnisfähigkeit. Sonst müsste ich ja ein Kind totfahren, um nachvollziehen zu können, was diese Tat in „Gnade“ mit dem Rest der Familie macht.

Und was?

Plötzlich gibt es in dieser unglücklichen eingefahrenen Ehe einen Aufbruch, eine neue Aufmerksamkeit füreinander. Beide Partner wissen: Wenn wir weiterhin eine Familie bleiben wollen, müssen wir noch einmal von vorne anfangen. Die Komplizenschaft schweißt sie zusammen.

Es geht also darum, welche Rolle das Böse für das private Glück spielt.

Na, es geht auch darum, welche Ängste das Paar erleidet, was für ein schlechtes Gewissen es hat, weil es diese Tat vor der Polizei verheimlicht. Ich tu mich schwer damit, Gut und Böse so klar zu trennen, ich lege meine Rollen nie so eindeutig an. Kein Mensch verhält sich immer nur gut, und auch der Böse zeigt menschliche Seiten. Deshalb hat mir „Michael“, der neue Film von Markus Schleinzer, der dieses Jahr den Max-Ophüls-Preis bekommen hat, so gut gefallen.

Schleinzer erzählt, angelehnt an den Fall Natascha Kampusch, die Geschichte eines Pädophilen, der einen kleinen Jungen über Jahre gefangen hält, um ihn zu missbrauchen.

Er tut uns nicht den Gefallen, das Böse auszustellen und es unserem Hass preiszugeben. Das Perverse wird mit dem Alltag verwoben. Abends brät der Täter dem Jungen einen Leberkäs.

Der Philosoph Rüdiger Safranski sagt, dass wir das als böse bezeichnen, was uns Angst macht.

Das kann ich unterschreiben. Wir drücken das Böse weg, dabei ist es irgendwo in uns drin. Jeder kennt doch diese Momente. Man hat sich über seinen Freund geärgert und schneidet gerade Tomaten. Plötzlich ertappt man sich bei der Vorstellung: Was, wenn jetzt irgendwas über mich kommt und ich mir oder ihm das Messer in die Brust ramme?

"Ich hatte diesen fürchterlichen Drang, im Schulgottesdienst Gott zu verfluchen"

Sie sind in Linz auf eine Nonnenschule gegangen. Was haben Sie da über Gut und Böse gelernt?

Dort wurden mir vor allem strenge Regeln beigebracht. Wenn im Unterricht was runterfällt, nicht aufheben, um die anderen nicht zu stören. Und immer schön zur Beichte rennen, weil wir ja alle Sünder sind. Als Kind macht einem das Angst. Dabei bin ich gerne in die Kirche gegangen, unsere Dorfkirche war ein Zufluchtsort für mich: Ich habe da ganze Nachmittage verbracht und mit meinem Spielfreund gesungen, weil wir von der halligen Akustik so beeindruckt waren. Ich hab mich als kleines Kind oft an Gott gewandt, wobei sich der eher so anfühlte wie so ein Fuchur aus der „Unendlichen Geschichte“. Doch irgendwann habe ich gemerkt, wie ich mit steil nach oben gefalteten Händen im Schulgottesdienst saß, damit die Lehrer sehen, wie fromm ich bin. Gegen meine Scheinheiligkeit half dann nur noch Gotteslästerung.

Wie das?

Diese Frömmigkeit hat sich plötzlich vehement gedreht, und ich hatte diesen fürchterlichen Drang, im Schulgottesdienst Gott zu verfluchen. Ich hatte immer eine ausgeprägt blühende Fantasie und wollte wissen, was dann passiert. Danach ist aber gar nichts passiert. Die Schule hat meinen Eltern dann allerdings geraten, mich runterzunehmen.

Weil sie Gott verflucht haben?

Weil ich denen zu lebendig war, ich habe vor lauter Fürchten nur noch Blödsinn gemacht.

Heute würde man Ihnen wie vielen Kindern vermutlich Hyperaktivität attestieren.

Ich habe viel Ballett gemacht und wäre gerne Tänzerin geworden, habe aber zu spät damit angefangen, um richtig gut zu werden. Stört es Sie, wenn ich, während wir reden, ein bisschen rumlaufe?

Gerne, solange Sie in der Nähe des Aufnahmegeräts bleiben. Schwer vorstellbar, dass Ihre Liebe zum Theater auf der Schulbank entbrannt sein soll, bei der Lektüre von Goethes „Faust“.

Es war ein Hörspiel, das Frau Professor Pichler uns im Deutschunterricht vorgespielt hat, da ging ich schon aufs Realgymnasium. Ich fand als 15-Jährige Goethes Sprache den Hammer. Wie diese Schauspieler den komplizierten Text gesprochen haben, als wäre er ihnen gerade eingefallen: „Denn alles was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.“ Mit welcher Direktheit sie etwa Sätze wie diesen hören ließen, das wollte ich auch können. Das Gretchen wurde dann auch meine Vorsprechrolle.

Das gefallene Mädchen, das sein Schicksal demütig erträgt. Im Ernst?

So demütig empfinde ich sie jetzt gar nicht. Hin- und hergerissen zwischen Religion und Liebe verfällt sie irgendwann, nach den mörderischen Taten, dem Wahnsinn. Mit dieser Kerkerszene hatte ich mich beworben an den Schauspielschulen sowie an den Theatern. Das Gretchen hat mir sehr viel Glück gebracht, obwohl ich es nie auf der Bühne gespielt habe.

Ihre erste Filmrolle hatten Sie mit 23 an der Seite von Harvey Keitel in Istvan Szabos „Taking sides – Der Fall Furtwängler“ als Tochter eines Hitler-Attentäters. Stört es Sie, dass deutschsprachige Schauspieler international eigentlich nur in Filmen über die Nazizeit Aufsehen erregen? Klaus Maria Brandauer, Ihren Lehrer am Max-Reinhardt-Seminar, kennt die Welt vor allem als Mephisto, Ihr Landsmann Christoph Waltz wurde mit Tarantinos „Inglourious Basterds“ berühmt.

Und als fieser Investmentbanker in „Gott des Gemetzels“. Wäre er bei Tarantino nicht so ein großartiger Nazi gewesen, wäre in Hollywood niemand auf ihn aufmerksam geworden. Das ärgert mich nicht. Der Nationalsozialismus ist unsere Geschichte. Ich glaube nicht, dass wir diese Zeit restlos bewältigt haben, das ist immer noch in uns drin, wie die jüngste Studie zeigt. 20 Prozent aller Deutschen sollen immer noch zum Antisemitismus neigen. Vom Nationalsozialismus geht bis heute eine Faszination aus.

Wie meinen Sie das?

Oh je, jetzt nicht in die Lars-von-Trier-Falle tappen…

… der dänische Regisseur, der vergangenes Jahr auf einer Pressekonferenz in Cannes gesagt hat, er sei ein Nazi, worauf Argentinien und Israel seinen neuen Film „Melancholia“ boykottierten.

Keine Angst. Ich lehne nationalsozialistische Haltungen vollkommen ab. Nur man muss sich schon fragen, was es heißt, wenn der Staat immer noch Rechtsextremismus duldet. Das gilt vor allem für mein Heimatland, wo dieser fragwürdige Burschenschaftsball immer noch abgehalten werden kann und dann rechtsextreme Politiker in der Wiener Hofburg tanzen.

"Ungerechtigkeit, Dummheit, Herrenmenschentum, die ganzen Gutmenschenantworten könnte ich auch geben"

Ein weiteres Beispiel für den internationalen Erfolg der bösen Deutschen war Michael Hanekes „Das weiße Band“. Sie spielen darin eine kleine Rolle.

Eine winzige Rolle! Ich sage genau einen halben Satz und werde oft gefragt, warum ich mich darauf eingelassen habe. Aber ich hätte auch Kaffee gekocht, um mit Haneke arbeiten zu können, da kenne ich keine Eitelkeit. Der ist einfach großartig, wie der die Zurichtungen in der deutschen Familie ins Bild bringt, dieses Nebeneinander von Beten und Prügeln. Die Casterin war übrigens sehr dagegen, dass ich die Rolle bekomme, weil sie Angst hatte, dass ich kein Hochdeutsch kann. Naja.

Wir sprechen hier die ganze Zeit über das Böse. Was macht Sie böse, ganz persönlich?

Ungerechtigkeit, Dummheit, Herrenmenschentum, die ganzen Gutmenschenantworten könnte ich auch geben. Meistens richtet sich meine Wut auf andere leider schnell gegen mich selbst. Diese Tendenz zur Autoaggression hatte ich schon immer.

Wie äußert sich die?

Ich kriege Probleme mit dem Essen. Ich hatte als Jugendliche die bekannte Mädchenkrankheit, das ist aber viel, viel besser geworden. Mein Therapeut hat mir ein gutes Warnsystem beigebracht. Wenn ich wieder anfange, zu schnell zu essen, weiß ich, dass ich aufpassen muss. Denn richtig weg kriegt man so eine Störung ja nie.

Ist es da nicht eine Genugtuung, dass Sie nun als eher vollblütiger Frauentyp so einen Erfolg haben?

Naja, das innere Bild der dürren Frau bleibt, aber es berührt mich nicht mehr, im Gegenteil. Mein Beruf ist sehr anstrengend, vor allem auf der Bühne, und dazu brauche ich Kraft für mein ungestümes Verhalten, das mir ja so gerne nachgesagt wird.

Als Sie sich im vergangenen Jahr von einem auf den anderen Tag weigerten, die Lulu zu spielen, platzte Ihretwegen die ganze Aufführung.

Meine Entscheidung hatte vor allem mit einer künstlerischen Diskrepanz zu tun. Vereinfacht gesagt, teilten der Regisseur und ich einfach nicht denselben Geschmack. Natürlich ist so ein Prozess des Ausstiegs viel komplizierter und auch unangenehmer.

Seit Herbst sind Sie am Residenztheater in München engagiert. Wie gefällt Ihnen die Stadt?

Im September, als ich ankam, war München ein Traum. Das Wetter war super, und an der Isar war es irrsinnig schön. Aber München hat auch was von einem Polizeistaat, da wird man schon angekoffert, wenn man mal bei Rot über die Ampel geht. Eine Freundin von mir hat kürzlich eine Nacht in einer Ausnüchterungszelle verbracht, weil sie mit 0,9 Promille fröhlich singend nach Hause ging. Zu Fuß! Angeblich war sie eine Gefahr für sich und die Öffentlichkeit.

Das Rauchverbot ist auch eins der strengsten in ganz Europa.

Das gefällt mir wiederum gut. Es zwingt mich, weniger zu rauchen und besser auf mich aufzupassen.

Sie waren mal drei Jahre lang an der Berliner Volksbühne. Wie würden Sie einem Ausländer den Unterschied zwischen München und Berlin erklären?

München ist schon eine sehr kulturvolle Stadt, die Menschen interessieren sich für ihr Theater, ihre Museen. München ist natürlich wesentlich kleiner als Berlin. Als ich in die Hauptstadt kam, war ich die erste Zeit ganz schön erschlagen und auch ganz schön einsam. Doch an der Volksbühne bei „Mr. Regisseur des Jahrtausends“, Frank Castorf, fühlte ich mich von Anfang an ziemlich wohl.

Ein ziemlich größenwahnsinniges Prädikat.

Zutreffend. Herrlich größenwahnsinnig auch sein Ring-Unternehmen in Bayreuth. Ein scharfer, schneller, witziger, kluger, schöner Kopf, der Herr Frank Castorf! War gut, ihm in München wieder begegnet zu sein. Der hat sich nicht gekümmert um Auslastungszahlen und all den Quatsch, mit dem wir Theaterleute uns nur selber abschaffen. Nicht falsch verstehen, ich liebe es, wenn das Haus voll ist. Aber diese Quotenjagd an anderen Häusern hat nichts mit einer Qualitätsbesiegelung zu tun, sondern mit großer Gefallsucht. Das finde ich immer schlecht für die Kunst. Das ist und war aber an der Volksbühne nie so.

Trotzdem sind Sie nach dreieinhalb Jahren an die Wiener Burg zurückgekehrt.

Das Ensemble war dabei, sich aufzulösen. Und auch für mich war es wieder an der Zeit zu gehen. Ich habe einen enormen Respekt vor Kollegen, die ohne Fix-Engagement arbeiten. Ich könnte das nicht. Ich hätte Angst, ich müsste Rollen aus finanzieller Überlegung heraus annehmen, die ich gar nicht machen möchte.

Für die Berlinale haben Sie sich dennoch viel vorgenommen: Sie stellen Ihren Wettbewerbsfilm vor und sitzen auch noch in der Jury für den Amnesty International Filmpreis. Sind Sie nervös?

Geht so. Ich habe eine ganz andere Gelassenheit als vor zwei Jahren, als ich mit „Alle anderen“ zum ersten Mal im Wettbewerb lief und während der Vorstellung beinahe gestorben wäre vor Aufregung.

Sie haben den Silbernen Bären als beste Hauptdarstellerin bekommen.

Das war ganz, ganz toll. Nur der Stress, den ich habe, wenn ich bei solchen Gelegenheiten meine eigenen Filme im Kino sehe, bleibt trotzdem.

Haben Sie als Amnesty-Jurorin eine Mission?

Ich habe ganz konkret den Auftrag, zusammen mit meinen Jurykollegen einen Film zu prämieren, der sich der Menschenrechtsthematik annimmt.

Menschenrechtsfilme werden ja gerne ein bisschen belächelt, weil den Autoren die Botschaft wichtiger ist als die Ästhetik. Was sind Ihre Kriterien?

Es muss ein guter Film sein, keine Frage. Ansonsten gibt es keine Kriterien. Natürlich ist der Preis auch ein Signal: Man hofft, dass man Aufmerksamkeit schaffen kann für diese Filme. Filme, in denen sich das Publikum nicht gleich wieder findet, haben es hierzulande nicht leicht. „Nader und Simin“, den großartigen iranischen Film, der im vergangenen Jahr den Goldenen Bären erhielt, haben in Frankreich fast eine Million Zuschauer gesehen, hier gerade mal 100.000 Leute. Ich finde das bedauerlich.

Stefanie Flamm

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