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Kultur: Bis auf den Grund

Lake Tahoe ist ein Gebirgssee, an dessen Ufer gut situierte Familien die Abgelegenheit ihrer schönen Häuser genießen. Nur schwimmen möchte man nicht in seiner Eiseskälte.

Von Susanna Nieder

Lake Tahoe ist ein Gebirgssee, an dessen Ufer gut situierte Familien die Abgelegenheit ihrer schönen Häuser genießen. Nur schwimmen möchte man nicht in seiner Eiseskälte. Es stockt einem fast der Atem, wenn Margaret Hall (Tilda Swinton), ausgezogen bis auf die Unterwäsche, dort hineintaucht, wieder und wieder. Bis sie gefunden hat, was sie sucht.

Margaret ist eine disziplinierte Frau. Sie regelt den Haushalt, fährt die Kinder zur Schule, achtet darauf, ihrem senilen Schwiegervater (Peter Donat) gegenüber nicht die Nerven zu verlieren, vermeidet es, ihren Mann, Marineoffizier auf hoher See, mit Familienproblemen zu belasten. Nie hebt sie die Stimme. Entscheidungen fällt sie alleine.

Ihr klar geregeltes Leben kommt in Schieflage, als sie erfährt, dass ihr 17-jähriger Sohn Beau (Jonathan Tucker) ein Verhältnis mit einem schwulen Barbesitzer hat. Es droht zu implodieren, als sie dessen Leiche neben ihrem eigenen Bootssteg findet. Ohne nachzudenken, schafft sie den schweren Körper fort, hievt ihn mit äußerster Kraftanstrengung in den See. Bemerkt zu spät sein Auto, das bei ihrem Bootssteg steht. Rudert zurück zur Leiche. Taucht nach den Autoschlüsseln.

"The Deep End" erzählt von einer Frau, die um jeden Preis die Menschen schützen will, für die sie Verantwortung trägt. Doch der Preis wird ständig erhöht: Als sie Leiche und Auto endlich los ist, taucht ein gewisser Alek Spira (Goran Visnjic) mit einem Video auf, das den Ermordeten und Beau beim Sex zeigt. Margaret muss 50 000 Dollar auftreiben, ohne dass ihr Mann davon erfährt, der eine schwule Beziehung seines Sohnes niemals akzeptieren würde.

Der Film basiert auf dem Krimi "The Blank Wall" von Elisabeth Sanxay Holding. Die Handlung aus den vierziger Jahren haben Scott McGehee und David Siegel (Buch, Regie und Produktion) nahtlos in die Jetztzeit übertragen und daraus ein Kammerspiel gemacht, in dem das Ensemble, vor allem Tilda Swinton, seine überragenden schauspielerischen Fähigkeiten zeigen kann. So müsste eine Patricia Highsmith-Verfilmung aussehen, die der Autorin gerecht werden wollte: kein Ausstattungsstück, kein Star-Vehikel, sondern eine akribische Charakterstudie.

Fast unmerklich entsteht zwischen Margaret und Spira eine völlig unerwartete Nähe, die es dem Erpresser zunehmend erschwert, sein Ziel zu verfolgen. Jede Effekthascherei hätte eine solche erzählerische Gratwanderung ruiniert. Doch der Film findet Bilder, die der kühlen Ruhe der umgebenden Natur (Kamera: Giles Nuttgens) entsprechen und gleichzeitig mit sparsamsten Mitteln die innere Anspannung der Beteiligten zeigen. Keine Schwäche erlaubt sich Margaret, nicht das leiseste Stöhnen, während die Beklemmung wächst und wächst. Fast wortlos nimmt die Tragödie ihren Lauf.

Die atemberaubende, stumme Spannung löst sich ganz am Ende und ohne eine Spur von Sentimentalität - in einem Satz, der bis dahin zwischen Mutter und Sohn kaum noch denkbar war. Es fühlt sich an, als dürfe man plötzlich wieder Luft holen, als Margaret endlich aussprechen kann, worum sich eigentlich die ganze Geschichte gedreht hat: "Ich liebe dich."

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