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Kultur: Bis zum Steißbein

Stahlrohrcharme: Das Berliner Bauhaus-Archiv präsentiert seine Möbelklassiker

„Es geht mit jedem Jahr besser und besser. Am Ende sitzt man auf einer elastischen Luftsäule“ verspricht 1926 eine Annonce des Staatlichen Bauhauses Dessau. Die dort abgebildeten Stuhlmodelle Marcel Breuers illustrieren die rasante künstlerische Entwicklung des begnadeten Entwerfers seit 1921 – und vermitteln eine kompakte Designgeschichte des Bauhauses von den anarchischen Weimarer Anfängen bis zur technikfixierten Hochphase. Im Jahr der Anzeige stattet Breuer das neue Dessauer Bauhaus und die Villa von Walter Gropius mit den ersten serienreifen Stahlrohrmöbeln aus.

Bekanntlich hatte das Bauhaus mit dem Umzug nach Dessau den Höhepunkt seiner Entwicklung bereits erreicht – aus ironischer Zukunftsgewissheit wurde unversehens der Stoff künftiger Legenden. Gropius selbst sorgte 1938 durch die erste Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art für eine bereinigte Historie im Dienste des eigenen Ruhmes. Statt differenzierter Betrachtung künstlerischer Temperamente und Experimente gewann das aus dem historischen Kontext gelöste Spitzenwerk zunehmend Einfluss auf die Deutung des Ganzen. Neben Breuers Stahlrohrmöbeln begründeten einige Metallobjekte von Marianne Brandt oder die Tischlampe von Carl Jucker und Wilhelm Wagenfeld den paradoxen Ruf des Bauhauses als Wiege eines Stils. Moderne Design-„Klassiker“ ließen die Kunstschule neuen Typs endgültig hinter die Marke zurücktreten.

Mit der Ausstellungsreihe über die Werkstattarbeiten dokumentiert das Berliner Bauhaus-Archiv seit nunmehr fast anderthalb Jahrzehnten, dass die künstlerische Produktion des Institutes weit vielfältiger (und unspektakulärer) war, als seine kommerzielle Erbeverwertung vermuten ließe. Mit rund 200 Objekten – das Gros davon erinnert an den hohen Rang der hauseigenen Sammlung – werden nun „Bauhaus-Möbel“ aus der Tischlerei vorgestellt und um verwandte zeitgenössische Objekte ergänzt.

Wie sich die Blicke wandeln: Die Möbel-Avantgarde von einst erscheint heute oft nur noch brav bis (spieß)bürgerlich. Den Tonnen schweren Bücherschrank aus Mahagoni, den Gropius und sein Partner Adolf Meyer 1922 für das Haus Sommerfeld entwarfen, würde man auf dem Trödelmarkt keines Blickes mehr würdigen. Jenseits der Handvoll revolutionärer Stilikonen verströmt das maßgeblich durch Erich Dieckmann und Josef Albers beeinflusste Möbelsortiment so etwas wie aufgeklärte Solidität. Doch für das krisengeplagte deutsche Bürgertum waren selbst diese zurückhaltenden Stücke zu ärmlich, konzeptionell wohl auch zu anspruchsvoll. Anfang der 30er Jahre wurde die Produktion für zahlende Kunden mangels Nachfrage eingestellt.

In der kommerziellen Rezeptionsgeschichte hält sich hartnäckig eine andere Gleichung: Bauhaus gleich Stahlrohr gleich Moderne. Dabei hatte Breuer mit der erfolgreichen Weigerung, seine Hocker, Stühle und Tische am Bauhaus produzieren zu lassen, 1926 die „Breuer-Krise“ ausgelöst. Sein ertrotztes freies Unternehmertum bezahlte der Stardesigner mit jahrzehntelangen juristischen Auseinandersetzungen über Urheber- und Verwertungsrechte. Bis heute gehören Freischwinger & Co. zu den Urtypen des hedonistischen Kultbilds. Ihr Sucht-Potenzial hat Tom Wolfe in seinem Buch „From Bauhaus to our house“ mit ätzendem Spott zu bannen gesucht: Die New Yorker Architekturstudenten der 60er Jahre hätten kaum Geld zum Leben gehabt – auf Breuers „Wassily“ oder einen „Barcelona-Chair“ von Mies van der Rohe wollte jedoch niemand verzichten.

Bauhaus-Archiv Berlin, bis 10. März, Mi-Mo 10-17 Uhr.

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