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Kultur: Bitte hinterlassen Sie keine Nachricht

Rufen Sie mich sofort zurück, ich warte. (Erste bedrohliche Pause, kurz) Hallo!

Von Caroline Fetscher

Rufen Sie mich sofort zurück, ich warte. (Erste bedrohliche Pause, kurz) Hallo! Sind Sie vielleicht doch zuhause? Dann nehmen Sie mal ab! (nächste bedrohliche Pause, sehr lang.)Ich rufe schon zum dritten Mal an, wo sind Sie denn?

Hölle. Wieder mal zwei Dutzend gespeicherte Nachrichten und eine jede verlangt wie ein offener Vogelschnabel: Futter! Feedback! Sicher, das wünscht man sich ja selber auch, wenn man Nachrichten hinterlässt. In den Zeiten der Anrufbeantworter aber enthüllt sich, was beim dialogischen Telefonat gelegentlich noch kaschiert wird. Was einer da spricht, das ist wie ein phonetische Skizze der ganzen Person, und der Typus terroristischer Anrufer wird immer häufiger. Aufmerksamkeit klagt er ein und Zeit, jetzt und viel. Gibt es einen zentraleren Zeitgenossen als ihn? Kaum. Er braucht nicht mal seine Nummer zu hinterlassen, die schlägt man gewiss eifrig nach oder entziffert sie auf einem alten Notizzettel, den man eine Viertelstunde suchen muss. Doch was ist das schon, wenn man dann mit ihm in Kontakt treten darf, und sich "nur ganz kurz" ein Projekt erzählen lassen darf, oder einen Lebenslauf. "Ganz kurz" ist besonders gefährlich, es bedeutet: inklusive Daten, Fussnoten, Anekdoten. Ob er das nicht lieber zuschicken will? Na gut, sagt er gnädig, geben Sie mir Ihre Adresse. Und fügt hinzu: Ich habe schon mal so ein Projekt angekurbelt, 1962, wissen Sie, das war so . . . Nein! Gegen den terroristischen Anrufer ist kein Kraut gewachsen, seinen seelischen Hausfriedensbruch begeht er immer wieder.

Als die Malerei die Zentralperspektive entdeckte, hing das mit dem Bewusstwerden des Bürgertums zusammen. Leute wie die Fugger entdeckten sich in der Welt als handelndes, Handel treibendes Zentrum, das Drumherum als Objekt, als Um-Welt. Der Mensch als Subjekt, als Ego-Center war geboren. Doch keiner bedachte die bittere Konsequenz: dass die Anderen ihrerseits Subjekte sind. Dass der Andere kein Objekt im Shopping-Center ist.

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