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Kultur: Bitte keine Marmeladenhüter!

Unsere Probierrunde machte sich auf die Suche nach der Essenz der Orange - und fand Produkte mit hohem Qualitätsniveau.

Wer ein Schnitzel, einen Teller Pasta oder auch nur eine Tasse Kartoffelsuppe vorgesetzt bekommt, misst sie insgeheim an Werken, die er selbst einmal vollbracht hat. Aber an kaum etwas, das aus der Küche kommt, wird so sehr die Elle des eigenen Könnens angelegt, wie an Marmelade. Denn jeder war schon einmal dabei, wie aus frischen Früchten ein süßer Brei wurde, der erst im Topf blubberte, bevor er sich unter Luftabschluss beruhigte. Meist schon in der Kindheit, spätestens aber am ersten eigenen Herd. Doch damit nicht genug.

Denn einen heimlichen Traum hegt wohl jeder Marmeladenmacher: dass durch seine experimentellen Zusammenfügungen so etwas wie eine neue Obstsorte entsteht. Neben tropischen Früchten kommen heute Aromaten wie Anis, Basilikum, Chili, Kaffee, Koriander, Limette, Minze und sogar Wasabi zum Einsatz, gefolgt von Wein, Likör und Hochprozentigem. Als gelte es, die Absorptionsfähigkeit von Zucker und Pektin bis zum Äußersten zu erproben, vergreifen sich zuvörderst Schrebergärtner, umgeschulte Kulturwissenschaftler und Hinterhofmanufakturen am Kanon konventioneller Konfitüren. Doch selbst die oft erfolgreiche Kombination aus Angriffslust und vertrautem Umgang mit Material versagt, wenn es um die Marmelade der Marmeladen geht: die aus Orangen.

Wie bei kaum einer anderen Speise entfaltet sich bei ihrem Genuss eine Bandbreite, die von der Süße der Belohnung bis zu bitterer Strafe reicht – und das alles im selben Moment. Das gilt in erster Linie für das Mus aus Bitterorangen, die ohne den Zusatz von Zucker nicht genießbar wären. Der Legende nach ist es in der schottischen Hafenstadt Dundee entstanden, wo nach der Havarie eines spanischen Frachters mit einer Ladung Sevillaorangen die Kaufmannsgattin Janet Keiller zur Tat schritt. Sie konnte nicht mit ansehen, wie die funkelnden Früchte, Symbole der Aufklärung und südlichen Sonne, unter der nordischen verdarben.

Über 200 Jahre später herrscht kein Mangel an Herstellern und Sorten, zumal die Völker Britanniens sich mit Orangenmarmelade zu identifizieren scheinen. Wie so oft musste die monatliche Tafelrunde eine Vorauswahl treffen, der auch die „Mac Kay Vintage Dundee“ zu Opfer fiel, „ Fortnum’s Sir Nigel’s Vintage Marmelade (No. 1)“ sowie das Glas mit „Duchy Originals Seville Orange Marmelade Thin Cut Bio“ des Prinzen von Wales.

Für ein gutes Dutzend Gläser fand sich dann ein Hafen im winzigen italienischen Restaurant „Locanda Pane“. Chefkoch Guido Vinci, einer der wenigen herausragenden Köche Italiens in Berlin, postierte sie am einzigen versammlungstauglichen Tisch im Fenster zur Ackerstraße und begann mit einem Klassiker, der die Richtung vorgeben sollte. Wie es der Name vielleicht nahelegen könnte, erwies sich „Wilkin & Sons Tiptree Old Times Orange“ vom Kaufhof am Alexanderplatz so gar nicht als Marmeladenhüter. Im Gegenteil: Nach einem sehr lebhaften Mandarinen-Parfum – vom Gastgeber „Kopfnote“ genannt – tritt eine von unauffälliger Süße berührte Schale in den Vordergrund. Sie ist mehr hart als mürb, und ihr Bitteraroma verliert sich nicht im Gelee, in das sie gebettet ist.

Die in Ocker, ja fast in Ambra gefärbte „Schwartau Bittere Orangen Marmelade nach englischem Originalrezept“ führt dagegen mit 35 Gramm Früchten je 100 Gramm die ganze Fertigkeit eines Industrieunternehmens vor und wirkt wie konzipiert fürs Hotelbuffet. Der populäre dänische Fruchtaufstrich „Den Gamle Fabrik Orange“ vertrat nach Vincis Ansicht eher das Kompott. Neben der relativ geringen aromatischen Dichte irritierte die gewürfelte, ein bisschen holzige Schale, die an Orangeat erinnert, das in Sirup reanimiert wurde.

Hier und noch mehr bei „Elsenham Handgemachte Orangen Marmelade“ besteht die Süße auf Vortritt, und das charakteristische Parfum kommt erst zum Zuge, wenn die Speise im Dunkel des Schlunds verschwunden ist. Wenn überhaupt. Bei der englischen „The Britannia Fruit Preserving Company Fine Cut Breakfast Orange Marmelade“ erfreut ein tiefgründiges Bernstein, das zunächst Honig vermuten lässt. Tatsächlich weicht das Aroma gar nicht so weit ab vom ersten Eindruck, so dass man auch von Bienenmarmelade sprechen könnte.

Tatsächlich geht ja die Apfelsine auch dann nicht ganz unter, wenn die Zuckerrübe wie eine Keule geschwungen wird. Sinnfällig wird das beim Genuss der thessalischen „Bitterorange kontr. Biologischer Anbau“ von der Frauengenossenschaft Zagora/Piliou, die aus dem sehr originellen griechischen Feinkostgeschäft „Pikilia“ in der Schöneberger Goltzstraße stammte. Bei ihr steht klirrender Süße allerdings ein mindestens ebenso präsenter, mit Zitronensaft verstärkter Fruchteindruck gegenüber, der auch die herben Schalenschnipsel gut abfedert und Guido Vinci an die Senfkonfitüre „Mostarda“ aus seiner Heimat erinnerte.

Zagora überrundete „Barbara‘s Kaffeetafel Bitterorangen-Marmelade“ vom Winterfeldtmarkt und Galeries Lafayettes „Nérolium Confiture D’Oranges Amères Extra“ von der Côte d’Azur – zwei Favoriten aus der Vorauswahl. Erstere, aus der Hand von Berlins bester Maultaschennäherin, beeindruckt mit feiner, fast weicher Säure, über deren Prickeln sich die Mandarinennote von Saftorangen ausbreitet und alles Bittere im Zaum hält. Auch wenn nicht das ganze Spektrum der Frucht ausgelotet erscheint, besitzt Barbara’s echten Unterhaltungswert, während beim südfranzösischen Vertreter die Melassefärbung wohl programmatisch zu verstehen ist. Auch hier wieder intensive Nase – auch mit Honig und einem Anflug von Vanille, strammer Körper, der von mürben Zestenstreifen gelockert wird: im Kuchen eine Wucht.

Dass die Bronzemedaille für die Frauen aus Thessalien verloren ging, hat auch damit zu tun, dass mit der preisgünstigen südafrikanischen Blechdose aus dem Supermarkt „Koo Seville Orange Marmelade Fine Cut“ so etwas wie ein Lexikoneintrag zum Thema Orangenmarmelade auf den Tisch kam. Der Feinschnitt vom Kap, erstmals im Test in ein intensives, auch Jasminnoten äußerndes Gelee gesenkt, nimmt sofort die Zungenmitte auf geradezu betäubende Weise in Beschlag, als wolle er noch einmal verdeutlichen, warum Kinder diesen Brotaufstrich nicht mögen. Dennoch bildet er Frische und Energie voll gereifter Orangen perfekt ab.

Trotzdem zog Vinci, der apulische Jurypräsident, „Rigoni di Asiago Fior di Frutta Bitterorange“ aus einer Hofpfisterei-Filiale (auch bei Bio Company) vor – und das nicht nur aus landsmannschaftlichen Gründen. Denn Rigoni di Asiago von der Hochebene beim Monte Grappa ist ein wohl abgewogenes Gelee, das voller Assoziationen steckt. Man ist versucht, beinahe von einem lyrischen Exzerpt zu sprechen, das die Verwandtschaft zu Apfel, Aprikose, Pampelmuse, Quitte und Zitrone aufs Tapet bringt.

Von der Mehrfrucht zur Einfrucht – das war der Weg des Siegers. Bei „Wilkin & Sons Tiptree Tawny’ Orange Thick Cut“ (Kaufhof) kann der Gaumen die Entwicklung des Bitteren in den dicken Stücken der Orangenhaut sozusagen in Stadien verfolgen, während Karamell die Süße variiert. Zusammengehalten werden diese beiden mächtigen Reize durch kräftige Säure und einen plötzlichen sehr floralen Duft wie von weißen Blüten. Dass dieses Aromenspiel überhaupt zur Einheit findet, gehört zum Wunder der Orangenmarmelade. Es gibt nichts, woran man es messen könnte.

Locanda Pane, Ackerstraße 17, Mitte, Tel. 2838-7722, Di-Sa ab 18.30 Uhr

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