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Kultur: Bitte recht bürgerlich

Augen der Demokratie: „Das Porträt im XX. Jahrhundert“ im Deutschen Historischen Museum Berlin

Das Gesicht der Stunde null: hohlwangig, aber schon wieder verhaltend lächelnd. Im Sommer 1945 erhielt die Esslinger Fotografin Walde Huth von den alliierten Behörden den Auftrag, die Bewohner ihrer Heimatstadt zu porträtieren. Für die Ausgabe der so genannten „Kennkarten“, mit denen die Versorgung der Zivilbevölkerung gesichert werden sollte, wurden Passfotos benötigt. Um ihre Arbeit zu vereinfachen, drückte Huth jedem Porträtierten eine Karte mit einer Nummer in der Hand. Den ausgezehrten Physiognomien sind die Schrecken und Mühen der Vergangenheit anzusehen, aber aus ihnen spricht auch das Glück des Davongekommenseins. Wer etwas über den mentalen Zustand des in Trümmern liegenden Deutschlands erfahren will, muss nur einen Blick auf diese Bilder werfen.

Die Fotos von Walde Huth gehören zu den Entdeckungen einer Doppelausstellung, die das Deutsche Historische Museum dem „Porträt im XX. Jahrhundert“ widmet. Der erste Teil des Unternehmens präsentiert eine Auswahl aus der exzellenten Fotosammlung des Hauses, einem noch weitgehend unerschlossenen Schatz, zu dem rund 200 000 Abzüge und mehr als zwei Millionen Negative gehören. Der zweite Teil – ein Überblick über das Schaffen der Fotografendynastie Schafgans – wurde vom Rheinischen Landesmuseum Bonn übernommen. Auf zwei Geschossen im Pei-Erweiterungsbau des Berliner Museums hat der Besucher einen Ausstellungs-Parcours von mehr als 1000 Exponaten zu bewältigen, eine Anstrengung, die dem geradezu enzyklopädischen Anspruch der Macher geschuldet ist. Der Titel muss doppeldeutig verstanden werden: Nicht weniger als ein Porträt des XX. Jahrhunderts soll hier gezeigt werden, aufgelöst in Hunderte von Einzelansichten.

Zu sehen sind die Selbstdarstellungen der Mächtigen, von Kaiser Wilhelm II., der sich 1905 in opernhafter Paradeuniform hinter seinem Säbel aufbaut, bis zu Gerhard Schröder, der sich 1998 als nachdenklich sein Kinn kraulender Halb-Privatier vom Kanzler-Fotografen Konrad Rufus Müller ablichten lässt. Albert Einstein faltet auf Yousuf Karshs Porträt von 1948 dürergleich die Hände. Rudi Dutschke agitiert 1967 im Ringelpullover den Audimax der Freien Universität, Michael Ruetz hinterfängt sein Haupt mit der nimbusartigen Saalbeleuchtung. Aber klugerweise beschränken sich die Kuratoren Dieter Vorsteher und Andreas Quermann nicht auf die Welt der Großen und Wichtigen, sie zeigen auch die Normalsterblichen, bis hin zu einem pyramidenartigen Vitrinen-Arrangement, das in Familienalbumbildern vom Kleinkind im Matrosenanzug bis zur Seniorin in der Rüschenbluse den Aufbau der wilhelminischen Gesellschaft nachstellt.

Die Fotografie war von Anfang an ein großer soziologischer Gleichmacher: das Medium der Demokratisierung. Schichten, die finanziell nicht in der Lage waren, sich malen zu lassen, ließen sich fortan fotografieren. Schon 1865 bemerkte der „Photographische Correspondent“: „Gegenwärtig ist es auch dem ärmeren Bürger möglich gemacht, seinen Nachkommen das getreue Bild seiner Gesichtszüge und seiner Person zu hinterlassen.“ Anfangs folgten die pompösen Porträts des Hochadels noch der höfischen Tradition des Herrscherbildes, doch bereits 1901/02 waren die privat wirkenden Studenten-Aufnahmen der preußischen Prinzen Wilhelm und Eitel Friedrich kaum mehr von bürgerlichen Fotos zu unterscheiden.

Die Wirklichkeit brach mit der Brutalität des Ersten Weltkriegs in das von sorgsam arrangierten Studioaufnahmen beherrschte Feld der Porträtfotografie ein. Auf Rekruten, die in Pickelhaube vor gemalten Kulissen posieren, folgen – es sind die erschütterndsten Exponate – medizinische Bilder von Kriegsversehrten, denen Kiefernteile, Münder, halbe Gesichter fehlen. Überhaupt arbeitet die Ausstellung gerne mit überraschenden Konfrontationen. So hängt gegenüber von August Sanders berühmten Bildern von Sekretärinnen, Künstlern und Arbeitern aus den zwanziger Jahren, mit denen er ein Komplett-Abbild seiner Gesellschaft schaffen wollte, eine Auswahl aus dem Buch „Das deutsche Volksgesicht“ der NS-Fotografin Erna Lendvai-Dircksen. Da blicken einem nordisch blonde „Arbeitsmänner“, friesische Bäuerinnen in Trachten und die rembrandtesken Charakterköpfe bärtiger Fischer entgegen. Ihren Grusel entwickeln diese Formulierungen eines genormten Menschenbildes erst im Umkehrschluss. Wer nicht hineinpasste in die „Volksgemeinschaft“, wurde ausgemerzt. Serielle Arbeiten dominieren auch den Nachkriegsteil der Schau, natürlich ist Stefan Moses’ epochemachendes Langzeitprojekt „Deutsche Porträts“ darunter, bei denen er „Rollmopsverkäuferinnen“, „Arbeiter im Tagebau“ und andere Landsleute in Ost und West in ihrer Arbeitskluft vor ein weißes Laken stellte.

Vor der Kamera sind alle Menschen gleich, auch wenn sie präzise die Details abbildet, die sie unterscheiden. An Moses’ Credo knüpft der zweite Teil der Ausstellung an, der im Obergeschoss Arbeiten von Theo Schafgans (1892–1976) und Hans Schafgans (1927 geboren) präsentiert. Das Bonner „Lichtbild-Atelier Schafgans“ wurde 1854, 15 Jahre nach Erfindung der Fotografie, gegründet, ganze Generationen rheinischer Familien haben sich von ihm ablichten lassen. Theo Schafgans, der den Betrieb 1911 übernahm, war bei einer Reise nach München mit der Künstlerboheme in Berührung gekommen.

Seine Porträts von Prominenten wie dem Kunstflieger Gerhard Fieseler oder dem Schauspieler Karl Schönböck, auf körnigem Bromdruck abgezogen, nahmen den expressiven Gestus von Jugendstil und Symbolismus auf. Noch in den weich gezeichneten Fotos der Bundespräsidenten Heuss und Lübke, die einst in jeder Amtsstube hingen, ist dieser Ästhetizismus zu spüren. Sein Sohn Hans arbeitet mit harten Schwarz-Weiß-Kontrasten und rückt allen Kunden – egal ob Kardinal, MdB oder bloß ein anonymes „Junges Paar“ – mit derselben Frontalität auf die Pelle. Fotograf und Fotografierte, so sagt er, müssen sich „auf einer Augenhöhe“ begegnen. Ein höchst demokratisches Motto.

Deutsches Historisches Museum, bis 9. April, tgl. 10–18 Uhr. Die beiden Kataloge kosten jeweils 25 €.

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