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Kultur: Blackbox für Sehnsüchtige Gluck Gluck Gluck: Mit „Orfeo ed Euridice“

startet das Konzerthaus sein Opern-Projekt

Ganz schön plakativ, dieses Schwarzweiß. Habt Mitleid!, schreibt Amor mit Kreide dem Publikum vor und turnt schneeweiß gestiefelt vor einem bühnenbreiten Transparent herum. In großen Lettern verzeichnet es den Text des Arienhits „Ach, ich habe sie verloren“. Derweil halluziniert Orpheus – pechschwarze Lederjacke, Gruftie-Make-up, Punkfrisur – seine rothaarige Liebste herbei.

Ganz schön ungestüm, wie Lothar Zagrosek die Ouvertüre zu Glucks „Orfeo ed Euridice“ anpackt. Das Drama vom Sänger Orpheus, der seine Gattin aus der Unterwelt zurückholen darf, wenn er sich niemals nicht nach ihr umschaut – Zagrosek intoniert es als coolen Barock mit entschlacktem, kantigem Sound. Bloß keine Sentimentalitäten! Ein nüchterner Werkstattklang für das Opernexperiment des Konzerthauses. Drei Gluck-Opern werden in knapp vier Wochen in „szenischen Konzerten“ präsentiert, auf „Orfeo“ folgen nach je vier Probentagen „Alceste“ und „Paride ed Elena“, die Szenen-Skizzen liefert Regisseur Joachim Schlömer.

Also sitzt das Orchester auf abgedunkelter Bühne neben einer überdimensionalen Elysium-Kiste, sie ist Opferstock, Podest, Kaaba und Schatztruhe in einem. Ihr sich öffnender verspiegelter Schalldeckel dient zugleich als psychedelische Video-Projektionsfläche für Orpheus’ Trauerwahn. Oper als Blackbox.

Zwar puckert die Hydraulik mitunter in die zarten Seufzer der Totenklage, aber der Kontrast zwischen kaltem BühnenSpotlight und dem warmen Licht der Pultlampen macht einen schönen Effekt. Beim Furien-Gesang des RIAS-Kammerchors schweben die Notenlämpchen der Sänger gar wie Glühwürmchen durch die Konzerthaus-Nacht. Zwielicht der Metropole, Zwischenreich von Leben und Tod.

Ganz schön cool, diese Idee: Das Gluck-Projekt erkundet den Königsweg zwischen konzertanter und szenischer Aufführung und verspricht Instant-Opern für den schnellen Großstädter, jenseits jeglicher Konkurrenz zu den großen Häusern. Herzgewächse, bestimmt für den direkten Verzehr. Dazu passen der unverblümt-metallische Sopran von Sunhae Ims Amor und der noch bei der Wehklage der „Che farò“-Arie gefestigte Alt von Ann Hallenbergs Orfeo. Nur die Mätzchen mit den mal herbeigezerrten, mal beiseitegeschobenen Notenständern stören den Purismus des Abends.

Und doch vermisst man etwas, so heftig wie Orfeo seine Euridice: die Dynamik der Sehnsucht. Zagrosek dirigiert eindimensional, mit Einheitslautstärke, in Einheitsstimmung. Verbietet die für Musiker, Sänger und Requisite gleichermaßen offene Bühne tatsächlich jede Differenzierung? Muss Orpheus so schrecklich gefasst bleiben, wenn er in Begleitung der vor Angst flatternden Harfe in die Unterwelt steigt? Wenigstens Thora Einarsdottir als Eurydike, eingesprungen für die erkrankte Klara Ek, straft die programmatische Coolness Lügen. Der Sekundenzauber ihres bangen, flirrend-erotischen Timbres und des von Verzweiflung beseelten Pianos – er hallt nach, lange später, in den Straßen von Berlin.Christiane Peitz

„Orfeo ed Euridice“, noch einmal heute um 16 Uhr. Infos: www.gluck-in-berlin.de

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