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Kultur: Blechkuchen oder Butterkuchen?

Wer die Sprache liebt, hat die Qual der Wahl. Mein Lieblingswort – Finale /Von Iris Hanika

Was ist das „liebste, schönste, kostbarste deutsche Wort?“, wollten der Deutsche Sprachrat und das GoetheInstitut wissen. Aus über 22000 Einsendungen wird eine Jury, der unter anderen Herbert Grönemeyer und Fußballtrainer Volker Finke angehören, bis Ende September die „charmantesten Begründungen“ auswählen.

In zehn Folgen, initiiert vom Kulturradio des RBB, schreiben hier deutsche Schriftsteller über ihre eigene Wort-Wahl. Als erstes kürte Brigitte Kronauer „Nachtviolen“, es folgten Wladimir Kaminer mit „Staatsangehörigkeitsangelegenheiten“, Julia Franck mit „Also“, Urs Widmer mit „Anmutig“ , Ludwig Harig mit „erzählen“ , Jenni Zylka mit „Puschelschwanz“, György Dalos mit „Lichtraum“, Eckhard Henscheid mit das „Quasi-g’wisse“ und Robert Gernhardt mit „Schwimmen“. Mit dem heutigen Beitrag endet unsere Serie.

Es ist eine sehr eigenartige Idee, das schönste Wort der deutschen Sprache finden zu wollen. Gibt es denn Kriterien dafür, was ein Wort besonders schön macht? Kann man denn die Wörter einer Schönheitskonkurrenz unterwerfen wie junge Frauen oder Rassekatzen?

Frauen und Katzen sind, ebenso wie Männer und Pferde übrigens, immer für sich alleine schön, als je einzelnes Exemplar. Die Schönheit eines Wortes aber erschließt sich zum einen aus der ihm eigenen Verbindung von Bedeutung und Klang, zum anderen und vor allem aber aus dem Zusammenhang, in dem es gebraucht wird, aus seiner Verbindung mit anderen Wörtern. Am Ende hat man eine schöne oder nicht so schöne Wortversammlung. Allerdings braucht so eine Wortversammlung außerdem einen Inhalt. Erst wenn beides zusammenpasst, ist sie wirklich schön.

Ein Beispiel. Hier sind drei Wörter: Blick, Stäbe, Vorübergehn. Ob das besonders schöne Wörter sind, wüsste ich nicht zu sagen. Unzweifelhaft aber steht fest, dass sie eines der schönsten Gedichte der deutschen Sprache einleiten: „Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe/so müd geworden, daß er nichts mehr hält./Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe/und hinter tausend Stäben keine Welt.“ Das ist die erste Strophe von Rilkes Gedicht „Der Panther“, das schön ist, weil es vollkommen ist: Sprachrhythmus und -melodie stimmen zueinander, so fließen die Worte, und die Reime ergeben sich wie von selbst. Zugleich ist das große Thema angeschlagen, wie das ewig Gleiche ein Wesen auszehrt, und es wird durch den Verweis auf die Stäbe, die an den deutschen Stabreim denken lassen, auch noch eine Metaebene eröffnet, die einen Kommentar zur Sprache und zur Dichtung selbst abgibt.

Aber „tausend Stäbe“ könnte auch eine Bestellung an eine Eisenwarenhandlung sein, und da käme man dann wohl nicht auf den Gedanken, dass diese doch besonders schöne Wörter seien.

Peter Handke hat über Lieblingswörter geschrieben, dass für einzelne zu schwärmen „eher ein Recht der Jugend“ sei, so ein Schwarm später aber gefährlich werde: „Je öfter der erwachsene Autor Wörter wie Lieblinge herbeiruft, desto mehr ziehen sie sich mit der Zeit zurück.“ Doch verhehlt er nicht, dass auch er Lieblingswörter hat, aber nur welche aus Fremdsprachen: „ataraxia“ zum Beispiel oder „ecuanimidad“ oder „domotožje“.

Dass einer manche Wörter aus fremden Sprachen lieber haben kann als andere, ist nun kein Wunder, denn bei solchen Wörtern steht der Klang stets vor dem Verständnis, das nicht, wie in der Muttersprache, quasi intuitiv geschieht, sondern immer intellektuell. Man hat es eigens gelernt, dieses Wort, und muss seine Bedeutung erst abrufen, so dass diese dem Klang immer hinterherhinkt. Darum kann man solche Wörter liebhaben.

Bei deutschen Wörtern aber schiebt sich für Muttersprachler die Bedeutung vor den Klang. Das zeigte sich, als ich Freunde und Bekannte fragte, was für sie das schönste Wort sei. „Herz“, sagte die eine, weil es sich auf „Schmerz“ reime, oder „Liebe“, weil es sich auf „Hiebe“ ebenso reimt wie auf „Triebe“. Der nächste sagte, „Butterkuchen“ sei das schönste Wort, der isst ihn nämlich gern. Ich esse allerdings auch gerne Pflaumenkuchen, Streuselkuchen, Zwiebelkuchen ... weswegen ich „Blechkuchen“ eigentlich fast noch schöner finde als „Butterkuchen“, weil der Blechkuchen diese anderen Kuchen alle mit einschließt.

Schließlich sagte ein österreichischer Freund, „Zwutschkerl“ sei das schönste Wort. „Zwutschkerl“. Das gefiel mir gleich sehr gut. Es ist zwar irgendwie ein deutsches Wort, aber für mich als Nichtösterreicherin steht dabei der Klang vor der Bedeutung. Ich musste mir dieses Wort nämlich erst erklären lassen. Ein Zwutschkerl ist ein kleines Wesen. Ein Kind kann man so nennen oder ein Hündchen. Und wenn man mich nun nach meinem aktuellen Lieblingswort fragt, dann sage ich: „Zwutschkerl“.

Fragt man mich aber nach dem schönsten deutschen Wort, dann sage ich klar und ohne nachzudenken: Ihr seid doch alle gleich schön.

Iris Hanika, geboren 1962, lebt in Berlin und ist ständige Mitarbeiterin der Zeitschrift „Merkur“. Zuletzt erschien ihre Alltagschronik „Das Loch im Brot“ (Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003).

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