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Kultur: Blei im Mors

Aus der Distanz: Ole von Beust beschreibt sein Leben mit der Politik.

Jahrelang hat er auf dieses Ziel hingearbeitet. Seit Carl-Friedrich Arp Freiherr von Beust, von seiner Oma Ole genannt, mit 16 Jahren in die CDU eingetreten ist, will er Bürgermeister werden. Im Februar 2001 ist es so weit: Mit 45 Jahren wird er vereidigt, er hat die jahrzehntelange SPD-Vorherrschaft gebrochen. Beust schreibt: „Als der Rummel vorbei war, fuhr ich nach Hause, legte mich aufs Sofa und döste erst einmal ein wenig.“ An seinem ersten Tag als Bürgermeister erinnert sich Beust daran, dass man als Fraktionsvorsitzender eine Tagesordnung hatte, „aber wie sah das in der Regierung aus, was kommt da eigentlich auf mich zu? Ich hatte keine Ahnung!“

Es sind solche Passagen, die Beusts Buch manchmal naiv erscheinen lassen und das Klischee über ihn, er sei im Grunde genommen faul, unterstreichen. An einer Stelle schreibt er über sein Problem mit Veränderungen. Es geht zwar um seinen Auszug aus dem Elternhaus, trotzdem wirkt die Episode wunderbar symbolisch: „Ich bekam den Hintern nicht hoch. Oder wie man bei uns so schön sagt, ich hatte Blei im Mors.“

Wie kann also einer, der sagt, dass er „ein anerzogenes Grundbedürfnis meiner Kindheit nach Distanz“ hat, ein mutiger Politiker gewesen sein? Wie kann er sein Buch „Mutproben“ nennen? Vielleicht muss man, um das zu verstehen, mit einem Satz anfangen, den ein amtierender sozialdemokratischer Ministerpräsident im Hintergrundgespräch gesagt hat: „Er ist mir sympathisch. Ich habe noch nie einen Politiker erlebt, der so entspannt ist, unverkrampfter und weniger blasiert als alle anderen.“

Das Buch ist ein hübsches Vermächtnis dieser Entspanntheit. Immer wieder schafft es Beust, die Vogelperspektive einzunehmen und sich und den Politikbetrieb zu hinterfragen. Neben den etwas länglich geratenen Kindheitsbeschreibungen und den Kapiteln über seine politische Karriere fehlen nicht die kleinen Anekdoten, die man von einem ehemaligen Ersten Bürgermeister und CDU-Bundesvorstand erwartet. Allerdings fallen sie spärlich aus und sind, wie es sich für einen Hanseaten gebührt, sehr zurückhaltend erzählt.

Die Koalition mit dem Rechtspopulisten Roland Schill 2001, die schwarz- grüne Koalition 2008 und die mit den Grünen beschlossene Schulreform, die schließlich scheiterte, sind, wenn man ehrlich ist, die einzigen politischen Mutproben von Ole von Beust, sieht man einmal davon ab, dass er 2004 auf eine absolute Mehrheit setzte und sie auch gewann. Zu seiner Entscheidung, schon im Wahlkampf eine Koalition mit der Schill- Partei in Aussicht zu stellen, schreibt Beust: „Es war ein Spiel mit dem Feuer … Aber ohne mit dem Feuer zu spielen, gewinnt man nun einmal sehr selten. Das Risiko war es mir wert … Meine Partei musste es schlucken, sie hatte keine Option.“

Beust breitet Schills späteren Erpressungsvorwurf auf zwei Seiten detailliert aus, zu seiner Homosexualität, mit der Schill ihn erpressen wollte, schreibt Beust an dieser Stelle aber nur den nüchternen Satz: „Der Eklat mit Schill und die öffentliche Pressekonferenz wurden gleichzeitig mein Outing als Homosexueller.“ Eine Seite weiter steht: „Ich halte Homosexualität für nicht so wirklich spannend, sondern für normal. Normales braucht man nicht zu outen.“ Die folgenden Erzählungen über die tief ins Privatleben Beusts reichenden Recherchen von Journalisten offenbaren die Verletzbarkeit von Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen und sich deshalb kaum gegen Gerüchte wehren können, weil die sonst so noch mehr Bedeutung erhalten.

Ein bisschen Tratsch liefert er aber auch. Der Leser erfährt, dass Roland Schill zu der öffentlichen Pressekonferenz mit einer Waffe kam. Beust verrät auch, dass Schill immer schusssichere Westen trug. Er suggeriert, dass der nicht erst nach seiner politischen Karriere kokste, sondern schon während der Koalitionsverhandlungen, „weil er öfter mal auf die Toilette verschwand. Mit Kokain haben wir das nicht in Verbindung gebracht. Wir meinten, dass er unter seiner schusssicheren Weste schwitzt, … und sich durchlüften müsse“.

Beust ist ansonsten nicht nachtragend. Die Grünen, die ihm sympathisch sind, kommen durchweg gut weg. Es ist kein Geheimnis, dass der 57-Jährige ein Befürworter einer schwarz-grünen Koalition im Bund ist. Die SPD wiederum ignoriert er. Immerhin erfährt man, dass Beust Ex-Bürgermeister Henning Voscherau zwar für einen „strategischen Kopf“ hält, aber auch für „extrovertiert und selbstverliebt. Er hatte diese affektierte Art zu sprechen, die ich nie mochte“.

Im letzten Teil des Buches, der etwas aufgesetzt wirkt, mischt sich Beust in die eine oder andere aktuelle Debatte ein: Integration, Konservativismus, Europa. Thilo Sarrazins Buch hält er für „unredlich“, die Politik, auch seine eigene Partei „hätten ihn als Brandstifter diskreditieren sollen“. Beust setzt sich für die doppelte Staatsbürgerschaft ein, und hält die Diskussion, ob der Islam zu Deutschland gehört, „verblasen“, weil zum Beispiel in Hamburg mehr Muslime als Katholiken wohnen würden. Den selbst ernannten Konservativen in der CDU wirft er „Inhaltsleere“ vor.

Die eigentliche Mutprobe aber, die auch dieses nicht zu dicke Buch lesenswert macht, ist Ole von Beusts konsequente Distanziertheit. Schon im Vorwort schreibt er: „Ich selbst bezeichne mich nicht als mutig. Ich bin ein intuitiver Mensch.“ Vielleicht hat ihn seine Intuition davor bewahrt, sich in der Politik verbiegen zu lassen. Und so blieb er ein Bewahrer des eigenen Ichs, unabhängig, ein unaufgeregter Polit-Promi, der nach Sylt fuhr, wenn es ihm passte. Er suchte dort nicht den Kontakt zu den Schönen und Reichen, sondern seine Ruhe. Und so stieg er immer erst in Elmshorn, nicht schon in Altona in den Zug. „Dann krähte kein Hahn nach mir, ich konnte mir meine Dose Bier mitnehmen und gemütlich auf die Insel fahren.“ Diese Unabhängigkeit vom Politikbetrieb hat man Beust als Faulheit ausgelegt und zum Vorwurf gemacht. Auch aus Neid.







Ole von Beust: Mutproben. Ein Plädoyer für Ehrlichkeit und Konsequenz. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2012. 206 Seiten, 19,99 Euro.

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