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Kultur: Blindgänger der Liebe

Andrea Breth verdunkelt Lessings Nachkriegs-Lustspiel „Minna von Barnhelm“ an der Wiener Burg

Nach dem Krieg ist vor dem Krieg. Nur die Abstände variieren. Über die Ursachen dieser menschheitsgeschichtlichen Konstante sinniert Lessing in „Ernst und Falk – Gespräche für Freymäurer“ und stellt fest, dass die Menschen selbst in einem weltumspannenden Riesen-Staat „noch Deutsche und Franzosen, Holländer und Spanier, Russen und Schweden“ wären. Sie würden sich nicht „als bloße Menschen gegen bloße Menschen“ verhalten, „ sondern als solche Menschen gegen solche Menschen“.

Die Aufhebung der Trennung der Menschen in solche und solche probt der abtrünnige sächsische Pastorensohn in seinen Theaterfiguren: Der weise Nathan demonstriert ihn den verfeindeten Religionen und die kluge Minna von Barnhelm ihrem patriotischen Geliebten Tellheim, übrigens gleichfalls in einer Ringparabel. Zwar verschmäht Tellheim, der Preuße, Minna, die Sächsin und bis eben, man schreibt 1763 und der Siebenjährige Krieg ist gerade beendet, noch Kriegsgegnerin, nicht deshalb. Sondern wegen der so genannten Ehre, die ihm fehlt wie das Geld und der Arm, den er im Kampf verloren hat. Doch als bloßer Mensch den bloßen Menschen lieben – und sich als verarmter Mann von der reichen Erbin aushalten lassen, das geht nun doch nicht. Eine Logik, die Minna so wenig hinnimmt wie Lessing, weshalb sie als erste emanzipierte Frau der Dramengeschichte den Geliebten bei seinem eigenen Widersinn packt. Und siegreich in die Ehe führt. Eine Handlungsweise, die Thomas Mann denn doch zu modern dünkte. Er empfand Lessings Minna als zu unweiblich. Ergo missglückt.

„Witwe“ heißt das letzte Wort in Gotthold Ephraim Lessings Nachkriegs-Lustspiel. Andrea Breth, zu heiterem sächsischem Optimismus wenig gestimmt, folgt in ihrer Burgtheater-Inszenierung den pessimistischen Spuren, die die Unterscheidung der Menschen in solche gegen solche auch in „Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück“ hinterlässt. Das Einheitsbühnenbild von Annette Murschetz, eine riesige Hotelhalle, erinnert an die Fernseh-Bilder der großen Kästen internationaler Hotelketten in Belgrad oder Bagdad – nach dem Bombenbeschuss: Löcher in den Wänden, die Einhängdecke aus Plastik hängt schief in den Raum, abgebröckelter Mauerputz bröselt über den Spannteppich. Vereinzelt abgesessene Polstermöbel mit Synthetik-Samtbezug. Der Wirt, im Nebenverdienst Polizeispitzel (Udo Samel), der Gespräche belauscht und Daten notiert, poliert die welken Blätter der letzten Gummibaum-Leichen. Sven-Eric Bechtolfs Tellheim in verdreckt-verfleckter ArmyUniform trägt die Spuren erlebter Gräuel sowie gekränkter Männerehre tief in sich eingeschlossen, darüber der staubgrau versteinerte Ausdruck des desillusionierten Veteranen.

In solch trübe Stimmung platzt fröhlich, fit und schick Minna (Sabine Haupt) mit ihrer treuen Gefährtin Franziska (Pauline Knof): Minna, die kribbelige Millionenerbin, die in den Trümmern campiert wie auf einem irre spannenden Abenteuer-Spielplatz. Krieg scheint die Zwanzigjährige bisher nur in Action-Filmen erlebt zu haben. In den Fantasyhelden Tellheim hat sie sich – so steht’s bei Lessing – schon verliebt, bevor sie ihn sah ... Und also bleibt’s dabei. Was nicht ins rosa Bild passt, wird ignoriert. Der Rest ist Lust am Spiel. Und Eroberung der eigenen Projektion.

Zwar schlägt Minna ihre rhetorische Schlacht erfolgreich, am Ende stehen zwei Trauungen. Zwei, denn Franziska kapert, nach dem Vorbild ihrer Vorgesetzten Paul Werner, den treuen Wachtmeister (Cornelius Obonya). Doch Ehen existieren viele, zu allen Zeiten. Was fehlt, in Andrea Breths kriegsversehrter Inszenierung, ist das warme Licht der Liebe und, in ihrem Gefolge, die Erkenntnis des anderen. Im fahlen Glanz des Neonlichts treffen gefühlsleere menschliche Hüllen aufeinander und reden vor allem über eines: über Geld. Geld ist in dieser Welt der Blinden – blind füreinander nicht aus Liebe, sondern aus Mangel an ihr – unendlich wichtig. Weil es als Bindemittel fungiert. Und Kommunikation schafft. Oder das, was die kriegerische Verrohung von ihr übrig lässt.

Keine heitere Minna also, die mit Andrea Breth das Licht des 21. Jahrhunderts durch ihre TV-geschulte Brille erblickt. Auch keine rundum geglückte – zu sehr stehen sich die Schauspielstile verschiedener Schulen im Weg – will man nicht auch die mangelnde stilistische Kommunikation programmatisch deuten. Breth bearbeitet Lessing wie Minna den Tellheim: Sie führt ihn mit seiner eigenen Logik aus dem optimistischen 18. ins pessimistische 21. Jahrhundert. Wie sagt Paul Werner? „In Persien, Herr Major, gibt’s einen trefflichen Krieg.“

Cornelia Niedermeier

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