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Kultur: Bloggen gegen Bomben

Der libanesische Künstler Mazen Kerbaj zeichnet im Internet gegen den Krieg

Mazen Kerbaj ist ein Nachtarbeiter. Wenn es gegen fünf Uhr morgens in Beirut langsam heller wird, wenn da wieder diese „schreckliche Stille“ ist, in die bald die Vögel hineinzuzwitschern beginnen, diese Stille, von der er weiß, dass sie nicht bleiben wird, dann beendet er, weil der Strom abgestellt ist, im Kerzenschein eine weitere Zeichnung. Da wird zynisch die US-amerikanische Flagge als käuflich zu erwerbende Freiheitsflagge angeboten, für all diejenigen, die in einer Region mit zu vielen Bärtigen leben. Oder Euronews stellt die neue Rubrik „Airport Weather“ vor, während sich eine Stimme aus dem Off über die „nur“ 36 Grad in Beirut wundert und kühle Bomben vermutet. Oder ein junger Mann reckt wutentbrannt seinen Stift aus dem Fenster in den sternklaren Himmel, droht, damit zu töten, bis seine Nachbarn entnervt „Shut up!“ rufen.

Ein Künstler leistet Widerstand. Seitdem in Beirut Bomben fallen, kommentiert der 31-jährige Kerbaj fast stündlich schreibend und zeichnend im Internet den Alltag in einer Stadt am Meer, in die der Krieg eingezogen ist.

Eigentlich sollte der libanesische Musiker und Zeichner derzeit mit seiner Trompete auf einer US-Tournee sein. Gerade hat er eine erfolgreiche Konzerttournee in Europa absolviert. Eine seiner Solo-CDs heißt „brt vrt zrt krt t“. Klingt es so, wenn etwas beschossen wird?

Der libanesische Bürgerkrieg von 1975 bis 1990 begleitete Mazen Kerbajs Kindheit und holt ihn nun wieder ein. Davon handelt auch die Zeichnung „The Libanese War Chronicles“. Alles wiederholt sich: viel Whiskey, kein Ausweg, viele Geräusche, keine Arbeit, keine Kommunikation, kein Strom, viel Fernsehen, viele Zigaretten, viele Fragen, „viel Nichts und nichts zu tun“. Nur eines ist neu: Er ist jetzt älter. In seiner jüngsten Aufnahme „Starry Night“, die als MP3 im Netz zu hören ist, tritt er mit seinem schwach pustenden Instrument gegen jüngst aufgenommene Fliegergeräusche und Detonationen an.

Laut der Genfer Organisation „International Telecommunication Unit“ ist der Libanon mit fast 20 Prozent der Bevölkerung relativ gut vernetzt. Zwischen 2000 und 2005 verdoppelten sich die Nutzerzahlen. Zum Vergleich: Im Irak haben nur 0,1 Prozent der Bevölkerung Zugang zum Internet. Dass sich aber innerhalb weniger Tage Kerbajs Webseite zu einem Forum der sich nach Frieden sehnenden Menschen aus aller Welt entwickelt hat, verwundert auch den Künstler selbst: „Die Aufmerksamkeit, die ich für mein Werk erhalte, finde ich ungerechtfertigt.“ Kerbaj erhält Zuspruch von überall: aus Australien, Brasilien, Kanada, Europa, aber auch aus Israel.

Viele geben zu, dass sie geradezu süchtig nach Kerbajs Blog-Botschaften sind. Andere werden zu eigenen Protesten inspiriert: Sie schreiben, dass sie Kerbajs Kunst ausstellen werden – im Madrider „Artepolis“ oder im Sydneyer Viertel „Little Lebanon“ – sie wollen mit den Cartoons T-Shirts bedrucken oder Desktops bespielen (als virtuelle Demonstration), erfinden das „Trinken für den Frieden“ (je mehr Flaschen leer sind, desto eher ist der Krieg vorbei). Diese Solidaritätsbekundungen muten kindisch und verspielt an und haben doch einen ernsthaften Kern. Weil Kerbaj trotzig ist und ungehemmt Gefühle zeigt, wirkt er menschlich und glaubwürdig. Anstatt wie ein Nachrichtenkanal Informationen zu filtern und zu bearbeiten, ist er ängstlich, wütend, traurig, oft auch sehr witzig. Weil man über das Internet auch im Ausland dicht an ihn herankommt, rückt der oft so ferne TV-Krieg näher an die Menschen. Julia aus Brisbane schreibt: „Die Direktheit dieser wunderbaren Technologie (Internet) kann uns helfen, dass wir uns als Menschen (Erdlinge) enger verbunden fühlen, anstatt uns auf unterschiedliche Religionen, Bräuche, Werte zu konzentrieren.“

Dabei will Kerbaj seinen Blog gar nicht in erster Linie politisch verstanden wissen. Er fühlt sich als eine Art unfreiwilliger Held, „der die libanesische Bevölkerung mit seiner Kunst verteidigt“. Die traurige Realität sei, dass er sich nicht einmal selbst schützen könne. Menschen stürben durch Bomben, während er Interviews gebe. Neuerdings lehnt er auf seinem Blog alle Pressegespräche ab. „Ich wurde schon zweimal gefragt: ‚Ist das nicht schlechter Geschmack, Musik und Bomben zu mischen?‘ Und ich habe schon zweimal geantwortet: ‚Ist es guter Geschmack, wenn man auf einen Bus mit Zivilisten, die aus ihrem Dorf fliehen, eine Bombe abwirft?‘ Es ist unglaublich, dass sich manche Leute, wenn sie sich in ihren Pariser oder Londoner Wohnzimmern mein Stück anhören, fragen, ob sie es mögen oder nicht. Sie sollten nicht aufhören, Fox News und CNN zu schauen, das sind Nachrichten mit gutem Geschmack.“

Kerbaj harrt in Beirut aus, auch wenn viele seiner Freunde in die sicheren Berge geflohen sind. „Macht alle mit“, fordert er immer wieder auf: „Wir schreiben das kollektive Gedächtnis unserer Zukunft.“ Die Webseite seiner Mutter Laure Ghorayeb, einer erfolgreichen libanesischen Künstlerin, die etwa auf der Biennale in Alexandria 1997 mit dem ersten Preis für Zeichnung geehrt wurde, hat er kurz nach seiner eigenen freigeschaltet. Auch seine Mutter hat eine Kriegsbiografie: Ihre neue Serie heißt „witnessing (again)“ – Zeugin sein (nochmals).

Kerbajs Blog wird zum Überlebensthermometer: Wenn die Technik aussetzt, ist das ein Angriff auf seine Möglichkeit zu kommunizieren. Wenn die Seite leer bleibt, wenn sich nichts hochladen lässt, wenn keine Mails mehr ein- und ausgehen, ist er ausgeschlossen, scheintot. Gefangen in seiner Wohnung. Spielt Playstation. In diese scheinbar friedliche Stille fragt er sich, was und wann als Nächstes kommt. Er zumindest wird „weitermachen mit Zeichnen, Ausrasten, Musikmachen, Bloggen, bis ich etwas Intelligenteres/Hilfreicheres zu tun finde“.

http://mazenkerblog.blogspot.com

Nikola Richter

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