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Doppelklick. Die Autorinnen Rery Maldonado (links) und Nikola Richter leiten das Blog www.superdemokraticos.com.

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Bloggen und feiern: Die Superdemokratinnen

Fair Trade der Ideen: Zwei Berliner Bloggerinnen bringen Deutsche und Latinos zusammen – im Netz und auf der Tanzfläche.

Der Name ist ein Kunstwort, mit deutschem „k“ und spanischem „c“, zudem ein augenzwinkerndes Paradox: „Los Superdemokraticos“. Kann man demokratischer sein als demokratisch? Wahrscheinlich nicht, aber vielleicht lohnt es sich ja, einmal drüber nachzudenken? Darüber, was es heißt, Bürger seines Landes zu sein. Oder darüber, wie die Geschichte das eigene Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst. Oder die Globalisierung. Oder darüber, welche Rolle der Körper bei der ganzen Sache spielt.

In ihrem Blogprojekt „Los Superdemokraticos“ haben die Berliner Autorinnen Rery Maldonado und Nikola Richter, beide Anfang 30, lateinamerikanische und deutsche Journalisten und Schriftsteller eingeladen, eben dies zu tun. „Wir wollten wissen, ob unter 40-jährige, netzaffine Autoren ähnliche Antworten auf die gleichen alltäglichen Fragen haben“, erklärt das deutsch-bolivianische Duo beim Gespräch in einer Neuköllner Kneipe.

Aus fast 200 Bewerbungen haben Richter und Maldonado 20 Autoren ausgewählt, die „durch Haltung aufgefallen sind“, durch ihre individuelle Sicht auf die Welt. Zusammengekommen ist eine bewusst heterogene Gruppe, die seit Juni regelmäßig kurze Online-Essays zu den vorgegebenen Themen bloggt. Die Texte entstehen auf Deutsch oder Spanisch und werden in die jeweils andere Sprache übersetzt, die beiden Leiterinnen fassen die entstehenden Diskussionen ebenfalls zweisprachig zusammen. „Intellektuelles Fair Trade“ nennen sie das – ein gleichberechtigtes, digital vernetztes Gespräch über die Kontinente hinweg.

Die "Sommersalons" sollen zeigen, was es so alles gibt in Berlin

Die Bundeszentrale für politische Bildung fördert das Projekt, aber in den Texten geht es nicht nur um Tagespolitik. Sondern auch um Persönliches, um Literatur und Erinnerung. Auch Luis Felipe Fabre ist dabei, der berühmteste Dichter Mexikos. Oder die Lyrikerin Sabine Scho, die in Berlin und São Paulo lebt. Die venezolanische Autorin Liliana Lara berichtet aus Israel, die costa-ricanische Bloggerin Lena Zúñiga schreibt von San Francisco aus. Aus Berlin schreiben unter anderem die Autoren René Hamann und Emma Braslavsky. Und der junge Hildesheimer Kulturwissenschaftler und Journalist Johannes Schneider verfasst nicht nur Texte, sondern wird auf dem September-Salon der „Superdemokraticos“ auch zur Ukulele greifen.

Die monatlichen Sommersalons mit Musik sind fester Bestandteil des Blog-Konzepts. „Politische Bildung vor der Haustür“ sagt Nikola Richter dazu: Leute zusammenbringen, Gespräche anregen – „und den Deutschen zeigen, was es alles so gibt in Berlin“. Am Donnerstag findet nun erst einmal der dritte Sommersalon statt – auch zur Feier der Halbzeit des Projekts, das noch bis Mitte Oktober läuft. Auf der Frankfurter Buchmesse wollen die Macherinnen dann die gesammelten Texte in einem Buch – „und online als E-Book!“ – präsentieren.

Bei der anstehenden Party werden DJs aus verschiedenen Berliner DJ-Kollektiven auflegen: Kid Watusi (Cumbia Rockers), Intiche (Pachazonica) und Grace Kelly (Mundo Mix), eine der wichtigsten DJanes der Szene. Der Festort, das Madame Satã in der Bergstraße, wurde erst kürzlich von einem weiteren Kollektiv eröffnet. Durch ihre Veranstaltungen geben die „Superdemokraticos“ den unterschiedlichsten Gruppen eine Plattform – und vernetzen so die Community auch im nichtdigitalen Raum.

Auffällig ist, dass viele Berliner Latinos sich in Kollektiven organisieren. Rery Maldonado erklärt dies als „Integrationstechnik der Jüngeren“. Die oft hoch gebildeten, aber gesellschaftlich nicht anerkannten Einwanderer der ersten und zweiten Generation schaffen sich so ihre eigenen Arbeitsplätze und vermitteln zugleich Aspekte ihrer Kulturen – wie Musik, Tanz, Kunst und Sexiness. „Sie leben von der Aneignung bestimmter Klischees“ – ohne dabei bloß Folklore zu machen.

Kurzfilme über Menschenfresser und Masturbation

Die Berliner Szene vernetzt sich immer mehr – auch dank der Superdemokratinnen. Das Kreuzberger Restaurant-Kollektiv „La Pulqueria“ etwa, Gastgeber des Juli-Salons des Blogprojekts, verköstigt auch die Teilnehmer des an diesem Wochenende stattfindenden Lakino-Kurzfilmfestivals – dem ersten seiner Art in Berlin. 350 Bewerbungen gingen ein, ausgewählt wurden 51 Spiel-, Dokumentar-, Animations- und Experimentalfilme von Regisseuren aus 28 verschiedenen Ländern. Alle Filme wurden innerhalb der letzten zwei Jahre gedreht, diese Aktualität war Festivalleiter Martin Capatinta wichtig, schließlich soll Lakino etwas über die Gegenwart erzählen – in lateinamerikanischen Ländern ebenso wie in Tschechien, Kanada oder Deutschland. 16 Filme laufen im Wettbewerb, zehn davon Deutschlandpremieren, eine Jury kürt den Sieger, außerdem wird ein Publikumspreis vergeben. Die Beiträge erzählen von argentinischen Straßenkindern und uruguayanischen Nerds, von Jugendfußballern in Chile und einem Müll-Architekten in Brasilien. Menschenfresser kommen auch vor. Und eine Hymne auf die Selbstbefriedigung. Also: Politik, Globalisierung, Körperlichkeit – nicht nur die „Superdemokraticos“ zeigen es: Da ist eine ganze Welt zu entdecken!

Sommersalon der „Superdemokraticos“ am 26. August ab 21 Uhr im Madame Satã, Bergstr. 25, Mitte. Mehr Infos unter: www.superdemokraticos.com. Kurzfilmfestival „Lakino“ vom 27. bis 29. August im Kino Babylon, Rosa-Luxemburg-Str. 30, Mitte. Programm: www.lakino-bln.com

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