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Kultur: "Blow": Wenn Träume zu sehr in Erfüllung gehen

Menschen vor grüner Berg-Kulisse bei der Arbeit: Hände pflücken, Körbe und Säcke füllen sich, Füße stampfen. Die Bilder könnten als Werbespot für einen Öko-Musterbetrieb durchgehen.

Menschen vor grüner Berg-Kulisse bei der Arbeit: Hände pflücken, Körbe und Säcke füllen sich, Füße stampfen. Die Bilder könnten als Werbespot für einen Öko-Musterbetrieb durchgehen. Doch warum wirken die Arbeiter so unfroh? Warum wird der sämige Brei aus den Blättern von schwer bewaffneten Männern bewacht, wenn er auf großen Tischen zum Trocknen ausliegt? Weil es hier nicht um Tofu geht, sondern um ein äußerst lukratives Produkt aus den Anden: Koks.

Ted Demmes Film scheint Anlauf zu nehmen für ein weiteres Sittenbild, wie es Steven Soderbergh mit "Traffic" so detailliert und lakonisch gezeichnet hat. Doch in "Blow" spielt der Weg der Droge durch die verschiedenen sozialen Schichten eine beiläufige Rolle. Demme konzentriert sich ganz auf George Jung, jenen Mann, dem nachgesagt wird, er habe für das Medellin-Kartell den nordamerikanischen Markt erschlossen. Eine Gangster-Geschichte nach dem klassischen Muster von Aufstieg und Fall. Sie erhebt nicht den Anspruch, die gesamte Branche abzubilden, aber doch Einblicke in deren Oberliga zu geben.

Wie kommt ein all american boy dazu, Tonnen über Tonnen einer Substanz ins Land zu schaffen, die so viel Elend über ihre Endverbraucher bringt? Ted Demmes Antwort auf die Frage lautet in seinem zweistündigen Psychogramm vor allem Naivität und Geldgier, wie schon der Untertitel von Jungs hier verfilmter Bestseller-Biografie andeutet: "Wie ein Kleinstadt-Junge 100 Millionen Dollar verdiente und alles verlor". Auch der reale George Jung hat noch Gelegenheit, sich zu äußern. Weil er auf Grund einer Kronzeugenregelung freikam und wieder mit Marihuana handelte, sitzt er ein - bei guter Führung bis 2014 - , weil er sein Import / Export-Geschäft mit Marihuana wieder ankurbelte. Aber das hindert ihn nicht daran, Interviews zu geben und auch die Macher von "Blow" zu beraten.

Demme versucht, in George Jung nicht den Großkriminellen zu sehen, sondern einen Menschen, der Produkt seiner Umgebung ist. Deshalb beginnt die Geschichte in den besonders engen Verhältnissen einer Kleinfamilie. Sohn George muss immer wieder mit ansehen, wie seine Eltern über Geld streiten. Wie die hartherzige Mutter dem geliebten Vater vorwirft, ein Versager zu sein, weil er nicht genug davon nach Hause bringt. Wie sie die Koffer packt, der Vater still und einsam leidet. Wie die Mutter irgendwann wieder kommt, aber trotzdem nicht alles gut wird. "Geld ist nur Papier", sagt der Vater. Doch der Junge nimmt sich vor: So arm willst Du niemals sein.

Ein paar Jahre später. George, gespielt von Johnny Depp, ist in der kalifornischen Variante des amerikanischen Traums angekommen: High sein, frei sein. Das Leben erscheint als langer weißer Strand. Demmes Film ist hier in Kulissen, Kostümen und Musik so übermütig ausgestattet, dass heutiges Party-Volk sich 30 Jahre zurücksehnen könnte - in eine Zeit der Unschuld und des Aufbruchs. Unbekümmert ist auch George, als er mit einem Kumpel mal ein bisschen Gras kaufen will und an jemanden gerät, der es säckeweise vorrätig hat. Dieser Dealer wird ironischerweise gespielt von Paul Reuben, der seine ersten Rollen in Kiffer-Klamotten wie "Viel Rauch um nichts" hatte. Man fährt mit dem VW-Bulli nach Acapulco und raucht Didgeridoo-große Joints. Aus Spaß wird Ernst, und bald schafft George die Ware in Flugzeugen herbei. Er wird einer der ersten Hippie-Kapitalisten. Ihn treibt nicht das Sendungsbewusstsein eines LSD-Predigers wie Tomothy Leary. George glaubt an den freien Unternehmergeist. Gibt den Leuten, was sie wollen.

Deshalb ist er auch nicht im Geringsten von Schuldgefühlen belastet, als er zum ersten Mal vor Gericht steht. Er zitiert Woody Guthrie und Bob Dylan - und für einen Augenblick sieht es aus, als habe sein Charme die Richterin erweicht. Doch der Hammer fällt und George geht in den Bau, wo er die Zelle mit Diego teilt, der ihn - George ist noch auf Bewährung - bald in höchste kolumbianische Kreise einführt. "Wenn Musiker und Schauspieler es nehmen," sagt er, als die Gesichtslähmung nach der ersten Probe-Nase abklingt, "dann nehmen es alle."

Mit amerikanischem Sinn dafür, wie man einen Dollar macht, baute Jung eine Groß-Logistik auf, die ihn und seine Partner binnen Kürze zu dutzendfachen Millionären machte. Selbst wenn er ausgesehen hätte wie Bela Lugosi, sagt der echte George Jung heute, hätte er damals die schönsten Frauen auf dem Planeten bekommen. Jeder sei damals verliebt in Kokain gewesen - und natürlich in das Geld, die Autos, die Klamotten, die Dinner-Einladungen. Er habe gelebt wie ein Rock-Star, besser: wie ein Coke-Star.

Ob Jung allerdings der einzige Koks-Baron war, der keine Leichen hinterließ, wissen er und die Ermittlungsbehörden allein. "Blow" zieht keinen moralischen Summenstrich. Kein Wort über die Opfer, die ruinierten Existenzen, die der "Disco Shit" hinterlässt. Ebenso wenig Mitleid aber entwickelt Demme - trotz erkennbarer Weichspülzusätze - mit der tragischen Figur George Jung. Mitleid mit den Wölfen, das weiß er, bedeutet Grausamkeit gegen die Schafe.

Ein besonderes Stilmittel von "Blow" ist die exzellente Visagistik. Wie aus Johnny Depps jungenhaft-mokanter Mimik allmählich der aufgedunsene, von Enttäuschungen gegerbte Stinkstiefel wird. Wie die blendende Schönheit von Penelope Cruz sich in die gedankenlose Kälte einer dauerbedröhnten Schlampe verwandelt. Wie in den Augen von Ray Liotta (der ohnmächtige Vater) die Wärme erlischt und die graue Resignation in seinem Gesicht regiert. Wie Rachel Griffith (die liebesunfähige Mutter) zur störrischen Alten vertrocknet. Und schließlich die unverbrauchte, runde Herzlichkeit Franka Potentes (seine große, aus Gründen der Dramaturgie erfundene Liebe), die unter immer neuen Frisuren strahlt, als wäre das alles eine einzige Party. Geschichten, in Gesichtern erzählt.

"Blow" spielt geschickt glamouröse Fassaden gegen emotionale Ödnis aus. Nicht nur wegen der immer wilderen Sonnenbrillen, Hosen und Frisuren, in denen der immer einsamere George steckt - die Ausstatter verlieren am Ende jegliche Kontrolle -, sondern wegen des schieren, sinnlosen Reichtums, den George aufhäuft. Ein Reichtum, den kein Mensch verprassen kann, so dass er am Ende doch wieder nur aus Papier besteht. Als seine Eltern ihn in einer dieser grotesken Villen besuchen, die aussehen wie ein All-Inclusive-Beach-Resort mit einem Dutzend Sportwagen davor, fragt ihn der Vater: "Bist du glücklich?" Er ist der einzige, der George noch solche Fragen stellt.

Gib Acht auf deine Träume, sagt der Film. Sie könnten in Erfüllung gehen.

Ralph Geisenhanslüke

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