zum Hauptinhalt

Kultur: Blue Notes aus Kapstadt

Eine Begegnung mit Abdullah Ibrahim

Hinter dem Maschendrahtzaun sind die Schienen mit Gras überwachsen. Darüber schaukeln elektrische Überlandleitungen im Wind. Kleine einstöckige Häuser reihen sich aneinander, die Vorgärten staubig, das Mauerwerk gesprungen. Die Straßen haben keine Namen, sie sind mit Buchstaben und Zahlen gekennzeichnet. Hier in Kensington, einem Township von Kapstadt, das zu den „Cape Flats“ gehört, den ärmeren Gegenden Kapstadts, wuchs Adolph Johannes Brand auf. Heute lebt er in den „Cape Hills“, weit weg davon: Sein Ruhm als Jazzpianist hat es ihm ermöglicht.

Abdullah Ibrahim, wie er heute heißt, nachdem er zum Islam konvertiert ist, erinnert sich noch gut an das Geräusch der vorbeifahrenden Züge. Auch daran, wie hier die Soldaten einstiegen, auf dem Weg in den Zweiten Weltkrieg. Damals war er neun und wurde Dollar gerufen, weswegen er lang als Dollar Brand firmierte. Sein Geburtshaus steht noch, unbewohnt, die Hausnummer kaum noch zu erkennen, die Farbe abgeblättert. Eine schwierige Kindheit sei es gewesen, sagt Abdullah Ibrahim. Nicht nur der Familie wegen. Jede Straße hatte ihre eigene Gang. Wenn er morgens zur Schule ging, konnte er nie sicher sein, abends wieder lebend zu Hause anzukommen. Noch immer hängt in der Maitland Town Hall, dem Gemeindesaal der Bezirke Kensington und Maitland, anstelle eines Rauchverbots ein Waffenverbot: ein roter Kreis mit durchgestrichener Pistole.

Ein paar Blocks weiter, in der „American Methodist Episcopal Church“ von Kensington, hat Abdullah Ibrahims Großmutter früher Klavier gespielt. Die Kirche gibt es noch, hierhin kamen damals afro-amerikanische Missionare, brachten Gospels mit – und Jazz. Unweit der Kirche liegt auch die Garage, in der Dollar Brand damals übte, „jeden Tag zwanzig Stunden, manchmal nur mit der linken Hand“.

Er streckt seine Hände aus. Große Hände mit langen, schmalen Fingern. Mit denen er seine ausladenden, heute oft im Wohlklang vor sich hin wogenden Improvisationen baut. Die Finger hätten sie ihm damals gebrochen und ihn verprügelt, als er keine Tanzmusik mehr spielte, sondern einen Jazz, der die schnellen Läufe des Bebop mit Thelonious Monks dissonanten Tastensprüngen und traditionellen afrikanischen Melodien verband. Anfang der Sechziger ging er ins Exil. Zuerst nach Zürich, wo er von Duke Ellington entdeckt und gefördert wurde, dann nach New York. Erst nach dem Ende der Apartheid kehrte er zurück. Um seine Erfahrung weiterzugeben, hat er eine Musikschule gegründet und will ein Jugendorchester aufbauen. Als Zeichen der Zuversicht. Das kann man gebrauchen in einem Land, in dem mehr zerbrochen ist als Fensterscheiben.

Das Abdullah Ibrahim Trio spielt heute um 20 Uhr in der Philharmonie.

-

Zur Startseite