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Kultur: Blues und Broiler

Jazz als Mission: Der Bassist William Parker.

Die Anekdote spielt Anfang der achtziger Jahre in Berlin. In den Hauptrollen: die Jazzbassisten William Parker und Peter Kowald und der Maler A.R. Penck. „Make something real“, soll Penck, Jazz-Enthusiast und damals schon reich und berühmt, gesagt haben, als er den beiden Musikern eine Plastiktüte mit 50 000 Mark mit auf den Weg von Berlin nach New York gab. Etwas Aufrichtiges, Wahrhaftiges, sollten sie damit veranstalten, das war die Bedingung.

„The Revolution Continues“ steht 25 Jahre später auf Parkers Festival-T-Shirt, zehn Meter lang sind die zusammengestellten Tische, auf denen CDs angeboten werden. „William Parker’s Fried Chicken“ wird für fünf Dollar in der Konzertpause angeboten, schräg gegenüber liegen seine neuen CDs. Dass der Bassist seinen Namen für eine Hähnchenkeule hergibt, geschieht exklusiv auf dem mit Pencks Geld begründeten „Vision Festival“ in New York, das er mit seiner Frau Patricia zusammen leitet, diesen Sommer bereits zum 17. Mal.

Da Parker auf kleinen Labels wie „Eremite“, „Thirsty Ear“ und „Aum“ veröffentlicht, hat man es nicht immer leicht, an seine CDs zu kommen. So war es auch mit „The Inside Songs Of Curtis Mayfield“. Als das Album vor zwei Jahren den deutschen Markt erreichte, waren die Aufnahme sechs und das Bandprojekt bereits neun Jahre alt. Parkers Bearbeitungen von Mayfield-Klassikern wie „People Get Ready“ oder „We People Who Are Darker Than Blue“ dienen seinem afroamerikanischen Improvisationskollektiv als rhythmisch-melodischer Bezugsrahmen. Amiri Baraka, der große und streitbare Dichter, hat für die CD Mayfields Liedtexte fortgeschrieben und sie gemeinsam mit der Sängerin Leena Conquest lautstark zu impulsiven Ensemble-Passagen inszeniert.

Parker geht es um die Botschaft, er hält den Anspruch des sozial und politisch engagierten Künstlers auch heute noch weit höher als alles Gerede um Tradition und Kulturbewahrung. Er ist der Netzwerker der afroamerikanischen Improvisationsmusik, die wichtigsten Solisten lädt er zum Festival, übers Jahr begleitet er sie auf die internationalen Bühnen. Wenn seine Kollegen sagen: „Parker predigt den Gospel“, meinen sie dessen Glauben an den Kampf des Künstlers für die Freiheit, radikal zu sein.

Ein kurzes Piano-Intro, eine 50-minütige Ensembleimprovisation und ein einfaches, einfach schönes Thema auf 13 Minuten gestreckt, „Another Angel Goes Home“, das verbirgt sich hinter dem Titel von Parkers Album „In Order To Survive“, das 1998 beim „30. Workshop Freie Musik“ in Berlin aufgenommen wurde. Peter Kowald, der Bassist aus Wuppertal hatte die Liner Notes geschrieben, William Parker, der Bassist aus New York, die Musik. „In Order To Survive“ symbolisiere New York, schrieb der 2002 verstorbene Kowald. Die Platte thematisiere kreatives Handeln und Lebenshaltung, aber auch materielle Not, Durststrecken, mangelnden Respekt.

Parker kann laut spielen, sehr laut. Der 60-jährige New Yorker hat Konzerte auf Instrumenten gegeben, die als heruntergekommen und eigentlich schon unspielbar galten. In den achtziger Jahren war Parker der Bassist des Free-Thing-Protagonisten Cecil Taylor. „Was ich bei Taylor lernte, war, dass musikalische Stilistik keine Bedeutung hat. Als ich mit Cecil spielte, konnte ich mich entscheiden, ob ich Bossa Nova oder Blues spielen wollte, ich konnte aus all den Sounds wählen, die in der Welt existieren, und das zeigte mir, wie weit man gehen kann – grenzenlos.“

Nach einem längeren Berlinaufenthalt seines engen Freundes, dem im vergangenen Jahr verstorbenen Geiger Billy Bang, nahm Parker 2004 mit ihm und dem Schlagzeuger Hamid Drake seine vielleicht schönste Trio-CD, „Scrapbook“, auf. Die Komposition „Dust On A White Shirt“ folgt einer Geschichte, die ihm der Schriftsteller Julius Lester erzählte. „Wenn er als Kind sonntags in die Kirche ging, wurde er in die schönsten Klamotten gesteckt. Und es wird natürlich erwartet, dass das weiße Hemd den Tag lang sauber bleibt. Da es in Arkansas aber immer so weht, ist es nach spätestens fünf Minuten völlig eingestaubt. Dann wird Mutter sauer. Doch als Kind möchtest du unbedingt in die Kirche gehen, weil das der einzige Ort ist, wo überhaupt etwas passiert am Sonntag. Also was tun? Wie bleibt man am Sonntag sauber? Die Geschichte schafft eine Stimmung, die man auch musikalisch ausdrücken kann.“ Es gehe um das Ergebnis, sagt Parker: „Profunde Musik, die das Leben der Menschen verändern kann. Wir sind dazu da, Leben zu retten.“ Christian Broecking

William Parker spielt mit den jungen Berliner Musikern Christian Lillinger (Schlagzeug) und Henrik Walsdorff (Saxofon) am 3. Februar um 20 Uhr im Institut Français, Kurfürstendamm 211.

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