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Kultur: Blut, Gold und Purpur

Die grandiose Auferstehung von Meyerbeers „Hugenotten“ in Brüssel

Sie haben es wieder geschafft. Nachdem Brüssels Opernhaus schon im letzten Sommer mit Verdis „Macbeth“ die Aufführung des Jahres gelungen war,sorgt La Monnaie auch diesmal für ein grandioses Finale der Opernsaison: Die Neuproduktion der „Hugenotten“ ist ein Abend, der das Publikum nach fünf Stunden Gesamtkunstwerk und zahllosen hohen C’s berauscht und sprachlos zurücklässt. Denn dass so etwas mit Giacomo Meyerbeers Bartholomäusnacht-Oper möglich ist, dürfte für die meisten eine Überraschung sein. Schließlich erscheinen die „Hugenotten“ kaum je auf den Spielplänen und John Dews legendäre Inszenierung an der Deutschen Oper war vor 25 Jahren bislang der einzige Beweis, dass das Stück einen Platz im modernen Musiktheater verdient. Diese Loch-Ness-Existenz der „Hugenotten“ liegt natürlich daran, dass das Stück einen gigantischen Aufwand erfordert. Mit zwei Dutzend Solopartien, monumentalen Ensembles und Riesenchören, aber auch mit dem schieren Materialaufwand, den das Historiendrama braucht, ist Meyerbeers Stück eine echte Grand Opéra.

Und in Brüssel wird mit vollem Herzen verschwendet: Der französische Regisseur Olivier Py weiß, dass der Weg zu diesem Stück über Opulenz und Rausch führt, dass Meyerbeers Schilderung des Massakers an den französischen Protestanten von 1572 kein Zeigefingertheater ist, sondern eine Orgie aus Blut, Gold und Purpur. Es ist ein stilisiertes Renaissance-Paris, in dem der Hugenotte Raoul und die Katholikin zueinanderfinden, um gemeinsam in den Tod zu gehen: Palastwände aus Messingblech, die sich mit Treppen und Brücken zu immer wieder neuen Räumen fügen, die zu Palasthof, Altstadtgasse und glänzendem Festsaal werden. Doch trotz der historischen Anbindung findet in Brüssel kein bloßes Kostümtheater statt – Py und sein Ausstatter Pierre-André Weitz bedienen sich souverän im Fundus der Geschichte und legen eine Fährte, die vom Hof der Valois über die protestantischen Moralisten des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart führt. Die katholische Adelsclique etwa, die den Protestanten Raoul im ersten Akt empfängt, ist ein Herrenreiterclub in hohen Stiefeln, in dem es derbe zugeht. Die Grenze zwischen Rausch und Gewalt ist schon hier durchlässig und Py zeigt mit einer Menge nackter Haut, dass nicht nur die Figuren Verdis, sondern auch die Meyerbeers von archaischen Instinkten getrieben werden. Und das heute wie damals: Am Ende sind es x-beliebige Menschen, die zu den frenetischen Chören der Katholiken in den Tod getrieben werden – die Gedanken an die Massaker von Bosnien bis Ruanda stellen sich ohnehin von selbst ein.

Dass Meyerbeers Oper in Brüssel eine ungeheure Sogkraft entwickelt, liegt natürlich auch daran, dass Marc Minkowski am Pult den Spannungsfaden über fünf Stunden nicht abreißen lässt, das La Monnaie Orchester unermüdlich antreibt, und so selbst in den ausladenden Ensembles für den Suspense-Faktor des drohenden Verhängnisses sorgt. Man spielt die „Hugenotten“ fast komplett, und die Aufführung legitimiert diesen Entschluss. Denn Meyerbeers großräumige Disposition von Dramatik und Entspannung kommt so erst zur Geltung, ebenso der panoramische Aspekt des Gesellschafts- Sittenbilds, der nicht nur die Folie für die tragische Liebesgeschichte ist, sondern zum Kern des Stücks gehört: Gerade die Massenszenen, in denen Protestanten und Katholiken schon vor der Katastrophe immer wieder gefährlich aneinandergeraten, stauen über den Abend eine Energie und Sogkraft auf, die unentrinnbar auf die hysterische Entfesselung der Gewalt in der Bartholomäusnacht hindrängt.

Und dann sind da die Sänger, die diesen Abend vollends zum Fest werden lassen: Der Raoul des jungen Amerikaners Eric Cutler zum Beispiel, der nicht nur die hohen Töne der voix mixte beherrscht, sondern auch den tenoralen Schmelz eines Bilderbuch-Helden besitzt. Oder die zartfühlende, wenngleich schon etwas reife Valentine von Mireille Delunsch, die im großen Liebesduett des vierten Aktes zu heroischer Größe aufblüht. Dazu die koketten Koloraturketten, aus denen Marlis Petersen die leichtlebige Prinzessin Marguerite formt, der mühelos die Chormassen überstrahlende Page von Julia Leshneva, dem aufgehenden Stern am Sopranhimmel und und und. Das Argument, diese Musik sei für die Sänger von heute zu schwierig, wird in Brüssel jedenfalls glänzend widerlegt. Statt über die Krise des Wagnergesangs zu greinen, sollte man vielleicht mehr Meyerbeer spielen.

Jörg Königsdorf

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