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Kultur: Blut und Moden

Das Maxim-Gorki-Theater gräbt das Schauerdrama „Wundermädchen von Berlin“ aus

Blicke in letzte Abgründe wollte Hanns Heinz Ewers in seinen Dichtungen werfen. Der 1871 in Düsseldorf geborene, 1943 in Berlin nach einem wildbewegten Leben gestorbene Erzähler und Dramatiker in der Nachfolge von E.T.A. Hoffmann und Edgar Allan Poe war sich bewusst, am Ende bildungsbürgerlicher Humanität zu stehen. Er versuchte sich an der Verschmelzung von Poesie, Grausamkeit und Wollust, er schuf orgiastische Erzählungen und Romane, nahe der Hysterie. Der Drang zum Sonderbaren, Seltsamen, Unalltäglichen kam dabei aus einer Verachtung des Wirklichen – nur den Gedanken wollte Ewers gelten lassen. „Man lebt“, schrieb er einmal, „in einer höchst wunderbaren Schreckenswelt, von deren Existenz man bisher keine Ahnung hatte“. Eine Ahnung, der er nachspürte, in „Seltsamen Geschichten“, auch in Reiseberichten und vor allem in umfangreichen Romanen, von denen „Alraune“ (1911) einen geradezu überwältigenden Erfolg hatte. Ewers war ein Getriebener, oft von Rauschgift abhängig, weltanschaulich hin und her gerissen, Philosemit, Nationalist, Faschist – mit dem Roman „Horst Wessel“ diente er sich den Nazis an – und wurde doch von 1939 bis 1941 mit Berufsverbot belegt. Der einst so Erfolgreiche, Weltreisende war dann bald vergessen, er starb verarmt.

„Das Wundermädchen von Berlin“, ein Drama in vier Akten, 1912 geschrieben, hat weit weniger Erfolg als die Romane gehabt. Max Reinhardt nahm es nicht an, die Uraufführung fand in Freiburg statt. In Berlin ist es bisher nicht gespielt worden. Auf eine Entdeckung also war zu hoffen, als das Maxim-Gorki-Theater sich des Stücks annahm. Es wurde eine Enttäuschung. Zunächst, weil die auf historischen Vorfällen beruhende Geschichte aus ihrer schwülstigen Hitze und kruden Vermengung von gottgläubigem, revolutionärem und erotischem Fanatismus selbst durch verwegene Kürzung nicht herauszuholen ist. Aber auch, weil Regisseur Alexander Lang den poetischen Wildwuchs in Anwendung militärischer und akademischer Riten in starre Form zu zwingen versuchte. Worum geht es? Ein braves Bürgermädchen, 15 Jahre alt, gilt im Berliner Vormärz des Jahres 1848 als Wunderheilerin. Geführt von ihrem Engel, hilft Luise Braun den Armen, Gebrechlichen, Kranken, nicht zuletzt auch den Vornehmen, Reichen, die sich zu ihr drängen. Zugleich aber besucht sie nachts Lustbarkeiten, zwingt in der entscheidenden Nacht einen revolutionären Studenten zur Liebe und in den Tod, verliert dadurch Kindlichkeit und Kraft.

Nun ja. Die Studenten marschieren in geometrischer Gliederung auf, sie stehen wie unter Strom, mit exakt hackenden Bewegungen von Armen und Beinen, die Gesichter mit starrem Kinn. Ungebärdig, im Wortsinn verrückt, mit langen Schritten und kreiselnden Bewegungen, sich zu Boden werfend und miteinander rangelnd, stemmen die Professoren ihre Bedeutung in die Höhe. Der Tanz im Ballhaus „Zum Hundeleben“ offenbart sich als Krampf und Kampf, in angestrengter Freudlosigkeit, unterlegt von grollendem Donner. Überhaupt behält das Gewaltsame, Blutdürstige, Grausame die Oberhand, auch in der Liebe. Die Metapher vom Fleisch fressenden Lämmchen, die das Wundermädchen selbst ins Spiel bringt, wird dankbar aufgegriffen.

Es sind künstliche Menschen, die da maschinenmäßig agieren, ausgeliefert der Seelenlosigkeit eines vorgegebenen, von der jeweiligen gesellschaftlichen Stellung ausgehenden und streng eingeübten Verhaltens. Lang zwingt die Darsteller zu außergewöhnlicher körperlicher Intensität, aber all das Gliederwerfen, all dieses Ineinander-Verkeilen und Aufeinander-Hochtürmen macht die Handelnden zu leeren Hülsen.

Mit einer Ausnahme: Heike Warmuth, das Wundermädchen, zeigt im ersten Akt Naivität und Festigkeit, das Herausgehobensein aus beschränkter Umwelt, schlicht und sicher. Die Umformung ins andere, lustbetonte, liebesdurstige Mädchen gerät offensichtlicher, behält aber noch Rätselhaftigkeit, bis sich das Kreatürlich-Gewaltsame im Bett- und Liebeskampf endlich doch Bahn bricht.

Wieder am 4., 15. und 18. Februar.

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