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Kultur: Blutrausch unterm Sternenhimmel

Kenneth Cooks Roman „Erwachen in Furcht“

John Grant, ein junger Lehrer, ist in einem Kaff namens Tiboonda gelandet, im tiefsten Westen Australiens. Die Wüste, das „Tote Herz“, kündigt sich mit Salzbüschen und fußhohem Staub an. Von der Minenstadt Bundanyabba aus hofft Grant, in die Ferien starten zu können: ans 1200 Kilometer entfernte Meer, nach Sydney, wo er herstammt. Kenneth Cooks Roman „In Furcht erwachen“ (Wake in Fright), im Original 1961 in Melbourne erschienen, war der große literarische Wurf von Kenneth Cook. Der 1987 gestorbene Autor und Journalist, der auch Drehbücher schrieb und Dokumentarfilme drehte, wurde damit im englischsprachigen Raum berühmt.

Vom ersten Satz an atmet das von Hansjörg Schertenleib rhythmisch und genau übersetzte Buch den existenzialistischen Geist der sechziger Jahre, weswegen man Cook mit Camus und Hemingway verglichen hat. Ein Mann kämpft um Selbst- und Welterkenntnis in einer Umgebung, der alles Leben lästig zu sein scheint. Bei seiner Ankunft in der Minenstadt fühlt Grant sich den dortigen Arbeitern haushoch überlegen, verachtet ihre fetttriefenden Mahlzeiten und belächelt ihren starrköpfigen Patriotismus und ihre Gespräche an der Bar. Doch kaum ist er in diese von Alkohol und Glücksspiel bestimmte Männergesellschaft eingetaucht, beginnen die dort wirkenden Kräfte ihn zu lenken; er wettet und verliert alles: „Er drehte sich um und ging mit leerem Blick aus dem Gebäude, hinaus in die Nacht, steif, wie versteinert vom Ausmaß seines Verlusts. Was der Verlust für ihn bedeutete, war derart tragisch, dass er nicht darüber nachdenken konnte. In seinem Bewusstsein saß ein kleiner straffer Knoten, um den die vernichtende Erkenntnis dessen herumwirbelte, was er getan hatte.“

Innerhalb von wenigen Stunden hat Grant den Boden unter den Füßen verloren. Bei Camus wird der Fremde von den stechenden Sonnenstrahlen zum Mord getrieben; bei Cook tun das die Sterne, die „nichts verlangend und nichts verzeihend“ den Himmel zersplittern. Es ist das, je nach Tageszeit, kalte oder gleißende Licht, das die Empfindungen der Menschen beherrscht. Kenneth Cook lässt seinen Helden in einen fast tödlichen Blutrausch stolpern; dionysisches Finale eines Jagdausflugs. Er beginnt mit lakonischen Dialogen, begleitet von den sachlichen Beobachtungen Grants; doch je grausamer das Geschehen, desto langsamer werden die Sätze, erstarren fast; als versuchten sie, die rasende Handlung anzuhalten.

Kenneth Cook: In Furcht erwachen. Roman. Aus dem Englischen von Hansjörg Schertenleib. C.H. Beck Verlag, München 2006. 191 S., 17,90 €.

Nicole Henneberg

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