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Gentleman. Bob Dylan 2012 bei einem Konzert in Spanien.

© Domenech Castello/dpa

Bob Dylan singt Frank Sinatra: Herbstlaub und Sommerküsse

Ein Crooner muss von seinen Schmerzen singen: Diese Lektion hat Bob Dylan bei Nat King Cole, Dean Martin und Frank Sinatra gelernt. Mit seinem erstaunlichen Album „Shadows in the Night“ huldigt er den großen Stimmen der Swing und Orchester-Ära.

Je älter ein Mensch wird, desto mehr besteht er aus Vergangenheit. Deshalb schmeckt die Erinnerung, die mit der Erfahrung wächst, irgendwann so bittersüß. Das stärkste Stück auf Bob Dylans neuem, am Freitag erscheinenden Album „Shadows in the Night“ heißt „Autumn Leaves“. Es beginnt mit einem langen instrumentalen Vorspiel, gezupfter Gitarre, Bass und einer sentimental sirrenden Pedal Steel Guitar, dann hebt der Gesang an, melancholisch und mit viel Vibrato: „The falling leaves drift by the window / I see your lips, the summer kisses / The sun-burned hands I used to hold.“

Gravitätisch, fast deklamatorisch beschwört Dylan die Bitternis des Alterns und des Verlassenwerdens. So wie der Herbstwind die abgestorbenen Blätter von den Bäumen bläst, so hat er auch die Geliebte hinweggefegt und den Geschmack der Sommerküsse. „Autumn Leaves“ war ursprünglich ein Chanson, das Joseph Kosma auf ein Gedicht von Jacques Prévert schrieb. Yves Montand und Edith Piaf haben es gesungen, in der englischen Fassung wurde es unter anderem von Bing Crosby und Doris Day interpretiert.

Huldigung an Frank Sinatra

Zu einem der größten Liebeslieder der Musikgeschichte hat schließlich Frank Sinatra das Stück gemacht. Seine Version mit samtigem Bariton und gleißenden Geigen ist bis heute unerreicht. Mit „Shadows in the Night“, dem ersten Studioalbum seit „Tempest“ von 2012, huldigt Dylan Sinatra. Die zehn Stücke von „I’m a Fool to Want You“ bis „That Lucky Old Sun“ sind Klassiker, die größtenteils aus dem Great American Songbook stammen und allesamt von Sinatra aufgenommen wurden. Dylan versteht seine Platte, gestaltet im Retrolook einer Blue-Note-Veröffentlichung, als Wiederbelebungsmaßnahme. „Die Lieder wurden zu Tode gecovert. Meine Band und ich machen sie wieder zugänglich, holen sie aus dem Grab und zerren sie ins Tageslicht.“ Wie man sich an Sinatra-Klassikern verheben kann, das hat Robbie Williams vorgemacht.

Als Swing-Sänger, begleitet von einem großen Orchester, konnte Williams im direkten Vergleich mit Sinatra nur verlieren. Dylan, 73, macht es besser. Er hat die für bis zu 30 Musiker komponierten Stücke für eine fünfköpfige Band arrangieren lassen und in intimem Rahmen eingespielt. Aufgenommen wurde in den legendären Capitol-Studios in Los Angeles, in denen schon Sinatra arbeitete. Über weite Strecken dominierendes Instrument ist die Pedal Steel Guitar, ursprünglich ein Erkennungszeichen der Country-Musik. Mit ihrem wabernden Geräusch beginnt schon die Herzschmerzballade „I’m a Fool to Want You“, die es in einer hinreißenden Adaption von Billie Holiday in den Jazz-Olymp geschafft hat.

Lernen bei Dean Martin, Sammy Davis Jr. oder Nat King cole

Dylan singt schneidend scharf, jede Silbe eine Rasierklinge. Von der Liebe ist in dieser Desillusionierungslektion nichts geblieben als eine kranke Abhängigkeit. Der Sänger, nicht unbedingt für das Volumen und die Eleganz seiner Stimme bekannt, hat begriffen, worauf es beim Croonen ankommt. Ein Crooner muss – das kann man auch bei Dean Martin, Sammy Davis Jr. oder Nat King Cole lernen – von Schmerzen und Verletzungen so singen, als würde er sie genau in dieser Sekunde empfinden. Swing hat Dylan nicht in seiner Stimme. Er ist nicht plötzlich zum Belcanto geworden, macht aber gesanglich alles richtig.

Leider wirkt das Singen der Steel Guitar auf dem nur 35 Minuten langen Album auf Dauer penetrant. Zumal die Songs rhythmisch nur minimal variieren, es sind ausschließlich Balladen und Midtemponummern. „The Night We Called It a Day“, das von einer Nacht, einem Kuss und einer Trennung erzählt, ist in gedämpfte Bläser gebettet. Und „That Lucky Old Sun“, einst ein Hit des County-Stars Frankie Laine, wird mit sanft säuselnden Posaunen und Trompeten zu einem Höhepunkt von „Shadows in the Night“. Es ist das Klagelied eines Mannes, der wie der Teufel arbeiten muss, um zu überleben, während die Sonne gnadenlos Tag für Tag durch das Himmelsgewölbe rollt. Eine wesentlich schmissigere Version von „That Lucky Old Sun“ hat übrigens Udo Jürgens 1967 veröffentlicht. Bei Bob Dylan klingt es nach Abendrot und Abschied.

Bob Dylan verschenkt fünfzigtausend Alben

Für „Shadows in the Night“ soll Bob Dylan 23 Titel in der Besetzung Bass, Steel Guitar, Leadgitarre, Rhythmusgitarre und Percussion aufgenommen haben. Material für künftige Anthologien. Dylans Fans erreichen inzwischen das Stadium der Silver Ager. Fünfzigtausend Exemplare des Albums verschenkt der Sänger an Leser des Magazins AARP. Die Zeitschrift der „Amerikanischen Vereinigung der Ruheständler“ wendet sich an die Babyboomer jenseits der 50.

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