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Kultur: Body-Event: Öl, Schweiß und Lust

Ein Erlebnis eigener Art: ein Schlund aus dicken Menschen, aufgebaut im Münchner Marstall - fertig ist die jüngste Show der Wiener Künstlergruppe Gelatin. Die interaktive Installation berührt, denn "Schlund" ist verführerisch aber nicht aufdringlich, aber komisch nicht ironisch, spielerisch und dabei nie dilettantisch.

Ein Erlebnis eigener Art: ein Schlund aus dicken Menschen, aufgebaut im Münchner Marstall - fertig ist die jüngste Show der Wiener Künstlergruppe Gelatin. Die interaktive Installation berührt, denn "Schlund" ist verführerisch aber nicht aufdringlich, aber komisch nicht ironisch, spielerisch und dabei nie dilettantisch. Ein Teil der riesigen Halle des Marstall ist mit tiefen Polstersesseln, Liegen und niedrigen Tischchen zur Lounge umfunktioniert. Im Hintergrund mixt ein DJ sphärischen Ambient-Sound. Ihm gegenüber ragt ein zehn Meter hoher, schwarz verhängter Turm auf, an seiner Außenseite ein Lastaufzug. Einzeln dürfen die Besucher den Vorraum des Turm-Schlunds betreten, wo sie eine Walküre im wallenden Gewand einweist.

Geduscht, geölt und in Badehose wird der Besucher im Lift nach oben befördert, wo ihn der Schlund aus massigen Körper erwartete: Männer und Frauen, auch sie in Badehosen und mit Fettcreme auf der Haut. Paarweise sitzen sie einander auf rund zehn verschiedenen Plateaus des Baugerüsts gegenüber, formen einen weichen, aus Leibern gebildeten Kanal. Also Augen zu, Arme über den Kopf und fallen lassen - in die menschliche Röhre hinein, die einen nach unten durchpresst wie durch einen Geburtskanal. Wer die Augen öffnet, sieht Gesichter millimeternah vor sich. Doch vierzig Sekunden Preisgabe an anonyme, gleichzeitig intime, ölig-schweißige Berührungen wirken offensichtlich befreiend, zumindest entspannend. Lustvoll werden Grenzen überschritten.

Nicht zum ersten Mal inszenieren Gelatin Body-Events mit Akteuren und Publikum. So intensivierte 1998 die Installation "Percutaneous Delights" im New Yorker Ausstellungsquartier P. S. 1 das Temperaturempfinden der Besucher. Das gleichzeitig in der Spencer Brownstone Galerie gezeigte Environment "Suck and Blow" bestand aus Plastikbeuteln, die von Ventilatoren abwechselnd angesaugt und aufbläht wurden.

"Wir realisieren nur unsere Träume. Eigentlich hoffen wir noch immer darauf, zu scheitern", kokettiert Wolfgang Gantner mit dem Starruhm der Gruppe. Von Misserfolg scheinen er und seine Kompagnons Ali Janka und Florian Reither, alle drei Jahrgang 1970, sowie der vier Jahre ältere Tobias Urban weit entfernt. Auf der Expo 2000 wurde ihre Arbeit "Weltwunder" zur Attraktion der Mega-Schau: ein kleines Schwimmbecken zwischen den Ausstellungshallen, in das Mutige hineintauchen konnten. Ein Jahr davor belustigten Gelatin bei den Wiener Festwochen mit der Performance "Pollo Feliz" als glückliche Hühner die Gäste, so benannt nach einer mexikanischen Fast-Food-Kette.

Gelatin, wie auch einige andere Künstlergruppen, liefern subversives Entertainment gegen den Terror der TV-Talk-Container-Shows. Liegt hier das Geheimnis ihres Erfolgs? "Wir beherrschen es, wie Gelatine überall herumzufließen", versucht Wolfgang Gantner ihn zu erklären. Tatsächlich haben die vier schlacksigen Lockenköpfe das Repertoire frech-charmanter Pop-Attitüden bestens drauf. So posieren sie auf ihrer Homepage (http://listen.to/gelatin) als Pin up-Boys, veralbern das allgegenwärtige Marketing-Credo des "Sex Sells" und bedienen sich seiner gleichzeitig. Ab 10. Juni vertreten Gelatin ihr Land auf der Biennale in Venedig. "Das ist für mich Erfolg", sagt Wolfgang: "Wenn die Leute nach Hause gehen und süchtig geworden sind".

Eva Karcher

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