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Kultur: Böcke im Schafspelz

Von Daniel Post Die Dame des Hauses spricht mit dem Hund und beißt Fischen mit unschönem Krachen den Kopf ab. Sohn Philip, feist und charakterschwach, arbeitet allabendlich mit Ingwerwein an der Verschlechterung seiner Leberwerte, seine Frau Theodora verbarrikadiert sich mit ihren sinistren Fantasien im Kinderzimmer, und ums Haus herum schleicht Elizabeth, die Ex, bleich und mit sehr sonderbaren fleischlichen Gelüsten.

Von Daniel Post

Die Dame des Hauses spricht mit dem Hund und beißt Fischen mit unschönem Krachen den Kopf ab. Sohn Philip, feist und charakterschwach, arbeitet allabendlich mit Ingwerwein an der Verschlechterung seiner Leberwerte, seine Frau Theodora verbarrikadiert sich mit ihren sinistren Fantasien im Kinderzimmer, und ums Haus herum schleicht Elizabeth, die Ex, bleich und mit sehr sonderbaren fleischlichen Gelüsten.

Wenn die Familie, wie von der jungen Regisseurin Vera Nemirova mehrfach betont, die kleinste Zelle der Gesellschaft ist, dann gehört die von Mrs. Carnis in Olga Neuwirths Musiktheater-Stück „Bählamms Fest“ in eine mit Gummi gepolsterte Zelle und weggeschlossen. Drei Jahre nach der Premiere bei den Wiener Festwochen traute sich nun das Opernstudio der Hamburgischen Staatsoper an die deutsche Erstaufführung.

Zuschauer, tritt ein und lass alle Hoffnung auf Handlung fahren: Natürlich ist hier alles surreal, raunt einem die Regie schon beim Betreten des Deutschen Schauspielhauses ins Hirn. Die erste Koproduktion der beiden Staatstheater bescherte dem Nachwuchs-Ensemble ein opulentes Spielfeld. Normalerweise hätte man sich mit einer engen Probebühne neben dem Haupthaus begnügen müssen, doch die wurde vor wenigen Wochen abgerissen. So kam es zur Kammeroper de luxe bei den Sprechtheater-Kollegen an der Kirchenallee.

Wie im schönsten Weihnachtsmärchen schneit es vom Zuckerbäckerstuck-Theaterhimmel ins Parkett. Ein leises, beunruhigendes Flirren aus dem von Patrick Davin kompetent geleiteten Orchester soll einstimmen auf die vereisten Emotionen, soll delikates Gegengift zum geschliffenen Sarkasmus des Librettos der Elfriede Jelinek sein. Sie nahm ein Stück der Max-Ernst-Lebensgefährtin Leonora Carrington als Vorlage, in dem Macht und Autorität, im Kleinen wie im Großen, karikiert und kritisiert werden. Zu schade nur, dass sich später die Regie mit turbulentem Aktionismus immer wieder über die feinsinnigen Andeutungen des Absurden hinwegsetzt. Wie so oft in übereifrigen Inszenierungen verstecken sich auch hier die Lektionen fürs Leben im Detail, auf den ersten Blick kann man sie in dem schaurigen Ringelpiez-Klamauk mit Werwolf und Ritualmord kaum erkennen, sondern nur ahnen, dass man ständig etwas womöglich Wichtiges verpasst.

Für Krieg, zwischen den Geschlechtern wie zwischen den Generationen, ist Platz auch in der kleinsten Villa, signalisiert unterdessen das clevere, mit Tarnfarben ausgeschlagene Bühnenbild von Stefan Heyne. Im Kinderzimmer werden die Reliquien des Unbeschwerten per Mobile zugeführt, während Flipper und Lassie und andere Helden der Jugend auf der Schrankwand-Glotze flimmern. Beim orgiastischen Weihnachtsfest der dumpf blökenden Schafherde - Gesellschaftskritik für ganz Blöde - treibt Nemirova ein Rudel Extra-Statisten mit Fellumhängen durchs Stück und lässt sie a tergo von Papa Schafbock beglücken, der obere Teil der Bühne zeigt ein riesiges Supermarkt-Aufschnitt-Panorama, um zu demonstrieren, wo so viel Kadavergehorsam endet.

Noch nicht perfekt, aber schon erstaunlich gut: die Umsetzung der komplexen, mit live-elektronischen Verfremdungen und Zitatschichtungen angereicherte Partitur Olga Neuwirths. Sie hat ihre stärksten, eindrucksvollsten Momente, wenn die durchaus beachtlichen Ensemble-Azubis (beispielhaft: Jan Buchwald als Philip und Fréderique Friess als Theodora) zu schweigen haben, während jener „Eis-Schnee-Inseln“, die eigentlich die jeweiligen Tableaus einfrieren lassen sollen. Dann findet das Stück atmosphärisch zu sich selbst, zu seinem kalten Schrecken. Doch genau dann werden diese Intermezzi ruhelos vom Ensemble überspielt. Keine Atempause, Geschichte wird gemacht.

Und: wenn schon surreal, dann auch richtig, wünscht man sich unentwegt. Aber die Konwitschny-Schülerin Nemirova bebildert größtenteils und grobkörnig, anstatt aus eigener Imaginationskraft heraus weiter zu verwirren, sie ist der Addams Family dabei oft näher als den Ushers. Harmlos statt hinterhältig also, viele kleine gemeine Pointen statt großer grundsätzlicher Grausamkeiten. Erst im bedrückenden Schlussbild, als Theodora – von allen bösen Geistern und dem von ihr so begehrten Werwolf Jeremy verlassen - Schritt für Schritt altert und dabei in sich zusammensackt, bekommt man eine Ahnung davon, was zwischen Jelineks Zeilen zu entdecken gewesen wäre. Zu wenig, zu spät.

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