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Kultur: Böse, alte Zeit

Wie Ken Loachs in Cannes preisgekrönter Film von der kriegerischen Vergangenheit Irlands erzählt – und vom Jetzt

Vorsicht: Dieser Film vertreibt jede Restweihnachtsstimmung, jedes besinnliche Zwischen-den-Jahren-Gefühl. Sehr grün mögen die Tannenbäume sein, die derzeit die Wohnzimmer schmücken, sehr grün ist die Insel, die den Schauplatz des Filmes abgibt – und damit hat es sich auch schon in Sachen Gemeinsamkeiten. Nein, vom Krieg erzählt der Film mit dem so sanften Titel „The Wind That Shakes the Barley“ (oder ist es nur die wunderbar trauerzart singende Frauenstimme, die die Liedzeile so sanft erscheinen lässt?); von einem vergangenen, ziemlich nahen, sehr prototypischen Krieg, der heute zufällig anderswo stattfindet. Und der genauso ein naher und zukünftiger sein könnte.

Irland 1920, dorthin führt uns Ken Loach, oder Irak 2006, diese Bilder beschwören die Assoziationen beim Sehen – oder auch: Erdulden – der harten, treffenden Szenen herauf: Der Unterschied ist nur graduell, geografisch, zeitgemäß globalisiert. Hier wie dort gibt es Besatzer, gegen die sich eine Guerilla wehrt. Es gibt, hier wie dort, eine sogenannte Teilhabe an der Macht, die den Widerstand einer neuen Guerilla heraufbeschwört. Und es gibt die rasend schnell sich potenzierende Gewalt aus Beschimpfungen, Demütigungen, Schlägen und Schüssen, aus Mord und Gegenmord und Blutrausch, in dem bald untergeht, was sein Anfang gewesen sein könnte.

„The Wind That Shakes the Barley“ (Der Wind, der die Gerste rüttelt) führt zurück in jenen Urschlamm regionaler, wieder entsetzlich modern gewordener, handgemachter Kriege – in den unglücklich verlaufenen Befreiungskampf der Iren gegen die britische Krone. 1916, beim Osteraufstand von Dublin, kämpften die Irish Volunteers, aus denen nach der einseitig deklarierten Unabhängigkeit der Insel die IRA hervorgehen sollte. Und 1921 kam es, nach langen Verhandlungen mit Großbritannien, zum Waffenstillstand und zum faulen politischen Kompromiss, der in einen erbitterten irischen Bürgerkrieg mündete. Seine Wunden bluten bis heute.

Ken Loachs Geschichtsstunde erzählt mit Hochdruck und ohne Anlauf, heruntergebrochen und -zerbrochen ins Einzelschicksal, eine Geschichte vom Krieg. Und von Anfang an ist dieser Film: jetzt. Die irischen Männer tragen zwar Schiebermützen und Wollzeug eines vergangenen Jahrhunderts, und die britischen Black Tans schlagen mit Holzgewehren auf sie ein, aber die Personen, die Paul Lavertys Drehbuch zusammenführt, zittern unter der Wucht des Augenblicks. Und als sie sich zu wehren beginnen, steht der Zuschauer im Augenblick ihres Entschlusses mittendrin. Die Zeitmaschine namens „The Wind That Shakes the Barley“ wirft ihre Passagiere mitten ins Gemetzel; in die böse, alte Zeit.

Damien (Cillian Murphy) und Teddy (Padraic Delaney) heißt das zur Identifikation einladende, kraftvolle, grundsympathische Bruderpaar, das sich, weil Ideen nunmal Köpfe brauchen, grausam entzweit. Hier der sensible Jungmediziner Damien, der den Job im fernen London ausschlägt, als er Zeuge – und Opfer – britischer Gewaltwillkür wird. Dort der fern der Familie in einem Priesterseminar ausgebildete Teddy, seit Jahren im bewaffneten Untergrund. Der eine ist erst ein ausgewachsener Junge, als die Handlung einsetzt, der andere längst ein Mann – und später wird der zum Lebensretten Ausgebildete auf sein eigenes Leben nichts mehr geben, während der andere fast wie ein Junge um die Einsicht seines Bruders betteln wird.

Sind das Holzschnitthelden, wie aus dem Holz jener Grashockeyschläger geschnitzt, mit denen die Landjungs sich in Friedensaugenblicken die Zeit vertreiben? Ja und nein. Ihre Bewährungsproben mögen dramaturgischer Beweisführung geschuldet sein – und zugleich atmen sie jene zauberische Wahrhaftigkeit, die allen Loach’schen Figuren eigen ist, mag er sie auch in noch so große Zeitenferne hineinerfinden. Am Ende gibt es keine Schuldigen, sondern bloß Verlierer, jenem David aus dem Spanischen Bürgerkrieg nicht unähnlich, dem Ken Loach vor elf Jahren mit „Land and Freedom“ seinen ersten und bislang einzigen historischen Film widmete.

Und doch, der wohl letzte Sozialist unter Europas Filmemachern hat mit seinen nunmehr 70 Jahren offenbar jede Hoffnung auf eine bessere unter allen möglichen Welten aufgegeben. So düster wie „The Wind That Shakes the Barley“ ist ihm noch kein Film geraten. Ob Ausbeutung von britischen Gewerkschaftern oder mexikanischen Schwarzarbeiterinnen, ob zerrissene Arbeiterfamilien in Mittelengland oder fast mittelständische Londoner Multikulti-Katastrophen – immer hatte Loach für seine Helden erwärmende Restheiterkeit und einen Funken Zukunft übrig. Sein Irland-Film hat keine Winkel, nicht mal die Liebe, wohin sich die bedrängten Seelen auf und vor der Leinwand flüchten können. Das ist es, was ihn so übersterbensgroß erscheinen lässt. Und so schwer.

In Berlin in den Kinos Babylon Kreuzberg (OmU), Broadway, Filmtheater am Friedrichshain, Hackesche Höfe (OmU), Kulturbrauerei, Neues Kant und Union

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