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Kultur: Böse, böse

„German Angst“: Der Neue Berliner Kunstverein untersucht das Gefühl latenter Bedrohung

Von weitem sehen die Kritzel auf dem Papier wie Fingerübungen aus, aus der Nähe liest man Namen, die einem nichts sagen. Bis der Künstler Andreas Slominski mehr Informationen herausrückt und in der Erläuterung seiner Arbeit verrät, dass die Unterschriften von Insassen aus deutschen Gefängnissen stammen, von denen die meisten auch nach Verbüßung ihrer Höchststrafe nie wieder in die Gesellschaft zurückkehren dürfen. Und dann? Entfalten die Namen auf den Blättern allmählich ihren Schrecken, weil man die klitzekleine, wie verloren wirkende Unterschrift der Brandstifterin genau wie die eitel geschwungene Signatur des Frauenmörders mit den jeweiligen Charakteren in Zusammenhang bringt.

Was Slominski hier lostritt, ist irreversibel: Wer einmal das Wissen des Künstlers teilt, der kehrt nicht wieder in den Zustand der Unschuld zurück und muss sehen, was er daraus macht. Schlimmstenfalls verfällt er aus lauter Lebensfurcht vor all dem Schlechten in der Welt jener „German Angst“, die Marius Babias zum Thema der von ihm kuratierten Ausstellung im Neuen Berliner Kunstverein (NBK) macht: einer zwanghaften Grübelei angesichts der schlimmen Dinge, die da kommen können.

Im Kunstverein blicken verdiente Skeptiker wie Hans Haacke oder KP Brehmer allerdings erst einmal in die Geschichte zurück. Der eine hat seiner Fotografie von Helmut Kohl ein paar Silberstücke an die Stelle der Augen gesetzt, der andere schon 1970 eine „Korrektur der Nationalfarben gemessen an der Vermögensverteilung“ vorgenommen und die Deutschlandfahne umgenäht. Die übrigen Künstler der Ausstellung üben Kritik an der unmittelbaren Zeit und dem Selbstverständnis einer Nation, die 18 Jahre nach der Wiedervereinigung nichts lieber als Normalität einkehren lassen würde. Käthe Kruse hat ein „Alphabet des Augenblicks“ erstellt. Mit allem, was einem theoretisch Angst machen kann: Yoga und Kohlekraftwerk, Birkenstock und Grausamkeit, Eiter und Mittelmaß. Antje Engelmann richtet den Blick auf die Provinz und drehte dort ein Rap-Video, während der Filmregisseur Hartmut Bitomsky in einer filmischen Dokumentationen den „VW-Komplex“ behandelt – die Geschichte einer Produktionsstätte aus Hitlers Zeiten bis heute.

Besonders groß und auffällig findet das Bashing der Gegenwart bei Thomas Hirschhorn statt, der gleich am Eingang eine riesige Weltkugel aufgebaut hat, aus deren Innerem sich dunkler Schlick über zahllose schwarze wie weiße Schafe ergießt. Ein letzter Reflex des Künstlers auf die populistische Wahlkampfkampagne seiner Schweizer Heimatpartei SVP von 2007, die potenzielle Kriminelle an ihrer Hautfarbe erkennen kann und vorsorglich schon mal ausweisen will.

„German Angst“, das diffuse Gefühl latenter Bedrohung, findet sich also nicht nur in Deutschland. Babias hat mit Hirschhorn, Marlene Streeruwitz oder Amir Fattal Künstler unterschiedlicher Herkunft eingeladen, die diesen verbalen Bastard aus diversen Perspektiven beleuchten. Fattal etwa stammt aus Israel, hat sich von jungen Schwulen in deren Berliner Wohnungen einladen lassen und streift mit ihnen auf dem Video „Changed Position“ durch die Abgründe ihrer sexuellen Vorlieben, etwa wenn er ein Nazi-Kabinett betritt. Gleich gegenüber breitet sich im Kunstverein an Stellwänden das Leben von Edgar Hilsenrath aus, der trotz seiner Deportation in ein rumänisches Ghetto später nach Deutschland zurückgekehrt ist und heute ebenfalls in Berlin lebt.

Solche Kreuzungen von Lebensläufen, die Generationen ohne jede moralische Wertung miteinander konfrontieren, gibt es einige in der Ausstellung. Mit Marlene Streeruwitz kann man, dank ihres Videos, quasi gemeinsam Auto fahren. Und während die Künstlerin lenkt und der graue Asphalt Kilometer für Kilometer vorbeizieht, analysiert die gebürtige Österreicherin ihre gescheiterte Beziehung zum deutschen Ex-Freund: zu viele Auseinandersetzungen um alles, was beide als Kinder des 20. Jahrhunderts mit sich tragen.

Einiges in der „GermanAngst“-Ausstellung verrät seine Absichten auf den ersten Blick, anderes will erst einmal gar nicht passen, verlangt nach Assoziationen, muss befragt und gedeutet werden. Diese Unschärfe ist zugleich die Stärke der Schau, die nichts beweisen möchte, sondern ein Feld zur Reflexion eröffnet.

Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestraße 128, bis 2. November; Di-So 12-18 Uhr, Do 12-20 Uhr.

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