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Kultur: Bollywood ist überall

Indiens Filme sind immer erfolgreicher, auch in Deutschland. Stuttgart widmete ihnen ein Festival

Der indische Mainstreamfilm, das so genannte „Bollywood“-Kino, scheint sich allmählich auch in Deutschland zu etablieren. Und zwar auf erstaunlichem Wege: Die Filmkopien nämlich tingeln eher in geringer Anzahl durch die Kinos. Wenn der Film dann aber auf DVD erscheint, schießt er meist auf einen der ersten Plätze der Verkaufscharts und hält sich dort für lange Zeit. Ähnliches geschieht mit den Soundtracks: Gleich drei Bollywood-Musiken fanden sich in den Juni-Charts unter den Top 100. Und auf der Berlinale avancierte das Drei-Stunden-Epos „Veer Zaara“ im Internationalen Forum zu einem der Zuschauer-Favoriten. Offensichtlich gibt es auch hier ein Publikum für das eigenwillige, farbenprächtige und ausgelassene Gefühlskino, das vier- bis sechsmal in seiner oft überlangen Spielzeit durch Gesang und Tanz unterbrochen wird.

Da der Bollywood-Film seinen Weg auch über die Musik nach Deutschland fand, über „Bhangra“-Abende, mit indischer Clubmusik und Bollywood-Remixes, hat sich zunächst unter weiblichen Teens eine feste Fan-Gemeinde etabliert. RTL II wird seine Zielgruppe in Zukunft wohl noch sehr viel regelmäßiger damit bedienen. Neben Immigranten aus Nordafrika, Türkei oder Zentralasien, die die Filme aus ihrer Jugend kennen, hat sich noch eine weitere Gruppe herausgebildet, deren Verehrung teils existenzielle Züge annimmt: Frauen von 20 bis 40, die sich nicht nur von der opulent zelebrierten Liebesromantik angezogen fühlen, sondern auch von den stets im Mittelpunkt stehenden indischen Werten und Traditionen. Vor allem vom allerhöchsten Gut: der Familie. Bei Rapid Eye Movies, dem hiesigen Verleih indischer Filme, treffen täglich Liebesbriefe für Shah Rukh Kahn ein, den größten Star des indischen Kinos. Die Absenderinnen stammen übrigens vorwiegend aus Dörfern im Osten Deutschlands.

Hausfrauen- und Provinzkino also? Von wegen. Oder besser: nicht nur. Das indische Kino ist eines der reichhaltigsten der Welt, mit einer langen und großen Tradition. Dass es möglicherweise auf dem Sprung ist, zur nächsten, auch künstlerisch interessanten internationalen Kinosensation zu werden, konnte man nun beim Stuttgarter Festival des indischen Films, „Bollywood and Beyond“, in Erfahrung bringen. Denn eine neue Generation von Regisseuren hat damit begonnen, die Filmsprache Indiens unter Bewahrung ihrer Traditionen weiterzuentwickeln.

„My Brother Nikhil“ etwa beginnt wie ein typischer Bollywoodfilm – und wird erst allmählich etwas anderes: Indiens erster, wegen seiner unspektakulären Erzählweise sehr eindrucksvoller Aids-Film. Oder „Page 3“, eine Satire auf das Bollywood-System selbst. Oder „Black Friday“, die dokudramatische Aufbereitung der Bombenattentate von Mumbai im Jahr 1993, als muslimische Fanatiker 300 Menschen in den Tod rissen. In keinem dieser vergleichsweise ernsten und mutigen Filme tanzen kostümierte Menschen ekstatisch um geschmückte Bäume und leuchtende Fackeln herum. Hochgradig unterhaltend und voller Musik sind sie dennoch.

Vieles spricht dafür, dass sich der Bollywood-Trend hierzulande als Genre etablieren wird. Stuttgarts Festival-Kurator und Filmemacher Naresh Sharma vergleicht das indische Kino mit dem ostasiatischen: So wie „Hero“ oder Ang Lees „Tiger and Dragon“ die martial arts, so wird auch das indische Kino „song and dance“ in das Weltkino integrieren. Den Oscarnominierten Filmen „Lagaan“ oder „Devdas“ ist das ja bereits gelungen. Denn, und da waren sich fast alle anwesenden Regisseure auch des alternativen indischen Filmes einig: Auf Gesang und Tanz möchte man keinesfalls verzichten; man will sie nur bewusster integrieren.

Der Höhepunkt des Festivalss kam dennoch ganz nüchtern daher: „Black“ erzählt die Geschichte eines verwahrlosten, blinden und tauben Mädchens, das von einem exzentrischen Lehrer aus seiner Isolation gerissen und bis zum Studienabschluss geführt wird. Man kann sich vorstellen, was Hollywood aus diesem Stoff gemacht hätte: ein Lob der Selbstverwirklichung und der unbegrenzten Möglichkeiten.

Regisseur Sanjay Leela Bhansali („Devdas“) und seine sensationelle Hauptdarstellerin Rani Mukherjee erzählen dagegen mit hochstilisierten Bildern und suggestiver Musik ein Familiendrama und die Geschichte einer LehrerSchüler-Beziehung: warmherzig, visuell überwältigend und herzergreifend. Trotz des gütlichen Endes verließen viele Zuschauer den Saal mit verweinten Gesichtern, gezeichnet wie von einer schweren Schlacht. Es waren auch Männer darunter.

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