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Bollywood: Tanz mit dem Terror

Bomben in Bollywood: Wie die indische Unterhaltungsindustrie den Konflikt zwischen Hindus und Moslems bebildert.

Als ein kleines Terrorkommando letzte Woche die Stadt Bombay tagelang als Geisel nahm, traf es das Herz Indiens gleich dreifach: das Finanzzentrum einer aufstrebenden Wirtschaftsmacht, das Symbol eines geschäftigen Miteinanders von Glücksrittern verschiedenster Glaubensrichtungen – und das Herzstück von Indiens Traumfabrik „Bollywood“.

In Indien, und vor allem in Bombay selbst, haben die Filmindustrie und ihre Protagonisten eine Bedeutung, die weit über den hiesigen Celebrity-Hype hinausgeht. Nach den jüngsten Anschlägen, als diese sonst so lebendige Metropole in Schockstarre verfiel, waren es nicht die Politiker, die als Erste ihre Stimme wiederfanden. Es waren Regisseure, Schauspieler und Produzenten aus Indiens Film-Jetset. Sie leben größtenteils in Bombay und waren von den Angriffen teils direkt betroffen. Anfangs noch zögernd, dann immer vernehmlicher brachten sie Wut und Trauer zum Ausdruck. „Ich schäme mich dafür, aber gestern Nacht tat ich erstmals etwas, von dem ich gehofft hatte, dass es nie nötig würde“, schrieb Schauspieler legende Amitabh Bachchan am Donnerstag. „Als ich schlafen ging, lud ich meinen Revolver und legte ihn unters Kopfkissen.“

Besondere Bedeutung bekommt diese aufgewühlte Botschaft vor dem Hintergrund, dass Bombay bislang nach jedem Schock schnell wieder zur Tagesordnung überging. Als vor zwei Jahren schon einmal 200 Menschen bei Anschlägen auf Regionalzüge den Tod fanden, dauerte es nur wenige Stunden, bis der Zugverkehr wieder rollte, und schon am nächsten Tag kletterte der Aktienindex.

So lebenstüchtig ist Bombay auch deshalb, weil man zu verdrängen gelernt hat. Schließlich ist das Zentrum der indischen Glitzer industrie der Ort, an dem extreme Armut und obszöner Reichtum aufeinanderprallen wie nirgends sonst in Indien. Zudem taten sich Hindus und Moslems hier grauenhafte Dinge an. Da hilft das Massenkino in all seiner eskapistischen Pracht – und dies keineswegs bloß dadurch, dass es die hässliche Realität ignoriert. Gerade die Künstlichkeit der Filmsprache mit ihren Stereotypen, Gesangs- und Tanzeinlagen verleitet dazu, sich ethnischer und religiöser Konflikte sowie politischer Gewalt teils atemberaubend arglos zu bedienen. Schließlich ist das Liebeshemmnis ein unverzichtbares Element – und welche Liebe wäre unmöglicher als die zu einem Terroristen? Und wer sagt, dass Terroristen nicht auch singen und tanzen?

„Dil Se“ von 1998 war, nach Mani Ratmans „Bombay“ von 1995 vor dem Hintergrund von Unruhen zwischen Hindus und Moslems, ein bemerkenswerter Auftakt. Superstar Shahrukh Khan spielt, singt und tanzt darin als ein Journalist, der sich in eine Terroristin verliebt. In „Fiza“ (2000) entdeckt die Titelheldin, dass ihr Bruder ein Terrorist ist. „Dhokha“ (2007) erzählt von einem Polizisten, der nach dem Tod seiner Frau erkennen muss, dass sie eine Selbstmordattentäterin war. In „Fanaa“ (2006) verliebt sich eine Blinde in einen Attentäter. „Rang de Basanti“ (2006) ist insofern eine Ausnahme, als er von einer Studentengruppe erzählt, die Korruption mit Gewalt bekämpfen will; doch auch hier wird der Terrorist als rebellischer Charakter gezeichnet, den erst tragische Umstände auf den falschen Weg bringen. Erfolgsregisseur Karan Johar hat einen ähnlichen Film bereits angekündigt. In den Hauptrollen: das Bollywood-Traumpaar Shahrukh Khan und Kajol.

Tatsächlich: Der Terrorist im Innern gilt im indischen Film – anders als die oft als groteske Karikaturen daherkommenden Schurken jenseits der Landesgrenzen zu Pakistan oder China – als Mensch mit Motiven. Wut und Rache sind ein auffallend dominantes Thema im indischen Kino, aber nur wenige der angry young men erfuhren so viel Verständnis wie der fehlgeleitete Terrorist von heute.

Für diese mitunter sogar sehr differenzierte Zeichnung des Terroristen als Filmheld gibt es auch nüchterne Gründe. Einerseits achtet die Zensur des Vielvölkerstaats zunehmend darauf, dass das extrem wirkungsvolle Massenmedium Kino keine religiöse oder ethnische Gruppe als grundsätzlich schlecht darstellt. Andererseits gibt es in den indischen Filmdynastien überdurchschnittlich viele Moslems.

Das ratlose Entsetzen nach den jüngsten Terrorattacken verrät dennoch, wie wenig sich das Wüten der Attentäter mit dem trivial psychologischen Terroristen-Idyll des Kinos in Einklang bringen lässt. Folgerichtig stellt sich umgehend der alte Reflex ein, den Nachbar Pakistan verantwortlich zu machen: Derart unbegreiflich Böses kann nur von außen kommen. So konnte sich zuletzt in Indien neben dem klassischen Unterhaltungskino auch der semirealistische Thriller als Genre etablieren. In Filmen wie „Hijack“ (2008) und „A Wednesday“ (2008) hat der grenzüberschreitend operierende Terrorist dem Gangster aus Bombays Untergrund bereits den Rang abgelaufen.

Einer der wichtigsten Protagonisten dieser Welle ist Ram Gopal Varma, bekannt als Produzent und Regisseur brutaler Gangsterfilme. Dieses Jahr sorgte er mit seinem Film „Contract“ für Zündstoff: Ein Terrorfürst entwirft einen Anschlagsplan, der nach einigen kleineren, über die Stadt verteilten Explosionen den eigentlichen Schaden erst mit einer Bombe anrichtet, die just in jenem Krankenhaus zündet, wo die Verwundeten versorgt werden. Eine Woche nach dem Filmstart im Juli kam es in der westindischen Metropole Ahmedabad zu einer – in den westlichen Medien kaum beachteten – Anschlag serie, bei der nach diesem Muster binnen 70 Minuten fast zwei Dutzend Bomben gezündet wurden. Die Folge: 56 Tote.

Kein Wunder, dass nur wenige Stunden nach Ende des jüngsten Gemetzels Regisseure bereits per SMS-Kettenbrief aufgefordert wurden, die Gefühle der Einwohner Bombays zu respektieren und die Ereignisse bitte nicht für einen Film zu nutzen. Neben Ram Gopal Varma wurde namentlich Apoorva Lakhia angesprochen. Zu seinem Film „Mission Istanbul“ (2008) hatte er sich von der Ausstrahlung der Videobotschaften Osama bin Ladens via Al Dschasira inspirieren lassen.

Viele Inder hoffen nun darauf, ihre Filmindustrie möge sich ausnahmsweise an den USA ein Beispiel nehmen. Dort hatten nach den Anschlägen des 11. September Projekte mit entsprechenden Gewaltszenen keine Chance. Es dauerte Jahre, bis Bilder des Terrors kommerziell wieder ausgeschlachtet wurden. Doch in Indien, wo der Terror fast schon zum Alltag gehört, sind die Filmleute nun wohl viel zu wütend, um sich erst mal vornehm zurückzuhalten. Als der Ministerpräsident des großen Bundesstaates Maharashtra am Sonntag die Zerstörung im Hotel Taj Mahal besichtigte, hatte er nicht nur seinen Sohn, von Beruf Schauspieler, im Schlepptau, sondern auch einen gemeinsamen Bekannten: „Contract“-Regisseur Ram Gopal Varma.

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