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Kultur: Bonjour Petitesse

Zusammen dauern die neuen Stücke von George Tabori und Botho Strauß, die in Wien uraufgeführt wurden, gerade einmal zweieinhalb Stunden.Wenig Zeit für weite Reisen: Tabori führt uns ins Fegefeuer, Strauß bis nach Sodom und Gomorrha.

Zusammen dauern die neuen Stücke von George Tabori und Botho Strauß, die in Wien uraufgeführt wurden, gerade einmal zweieinhalb Stunden.Wenig Zeit für weite Reisen: Tabori führt uns ins Fegefeuer, Strauß bis nach Sodom und Gomorrha.

Für ein "Theaterlabor" mit Schauspielstudenten hatte Luc Bondy, seit vorigem Jahr Schauspieldirektor der Wiener Festwochen, bei Botho Strauß nach einem geeigneten Text angefragt.Der Autor erinnerte sich an ein paar Skizzen, die noch im Schreibtisch (oder wo auch immer) lagen, und lieferte ein kleines Stück namens "Lotphantasie"; sieben Szenen, in denen äußerst wortreich die älteste Inzestgeschichte der Welt verhandelt wird: Nach der Zerstörung von Sodom und Gomorrha sind nur der alte Lot und seine beiden Töchter am Leben geblieben; in Ermangelung anderer Männer machen die jungen Frauen den Vater betrunken und lassen sich von ihm schwängern.

Lose mit der Gegenwart verbunden wird die alttestamentarische Geschichte durch die erste Szene: Eine junge Frau, eine dieser etwas verloren-verlotterten Botho-Strauß-Frauen sitzt in einer noch nicht in Betrieb genommenen Bushaltestelle und unterhält sich mit einer Röhre.(Warum Röhre? Darum: "Träumte eben vom toten Vater auf seinem Lager", sagt die Frau, "bleiweiß und kalt ....seine steife Röhre.") Luc Bondy hat das ganz wörtlich genommen: Durch die Decke der kleinen Plexiglasbox, die die Bushaltestelle darstellt, kommt ein kleiner, blau leuchtender Zylinder herunter, der mit der jungen Frau spricht und später auch unter ihren rosa Schlabberpulli schlüpfen wird.Allmählich verwandelt sich die Szene, aus der "Vorstadtwüste" einer modernen Metropole wird die Salzwüste bei Sodom und aus einer jungen Frau von heute wird Abbia, die Tochter von Lot.

Die Bühne (Gilles Aillaud, Claudia Jenatsch) ist eine Dünenlandschaft aus Pappe, am Horizont ein blauer Himmel, davor die zur Salzsäure erstarrte Frau des Lot.In den Dünen steht ein Zelt, in dem die Töchter Abbia und Zibbia (Katharina Schubert und Marianne Hamre Scheicher) den greisen Vater (Hans Diehl) hegen und pflegen.Der Skandal findet dezenterweise zwischen den Szenen statt; in von alttestamentarischer Formulierwut geprägter Sprache wird beredet, was war beziehungsweise sein wird.Das hört sich, unmittelbar nach dem Beischlaf, beispielsweise so an: "Wir selber sind zwei.Er aber ist die Wurzel, von der ausgeht der Beginn aller Völker, wiedergeboren in der Dunkelheit unseres Leibs." Ein anderer Mann (Wolfgang Michalek) taucht auf, der mit mehreren modernen Sportartikeln bekleidet ist, sich dann aber als sexuell wertloser Engel entpuppt; am Ende kehren die beiden hochschwangeren Schwestern den Boden auf.

Nach 80 Minuten bleiben im Rabenhof, der Studiobühne des Theaters in der Josefstadt, viele Fragen offen.Fraglich ist unter anderem, warum ausgerechnet ein so undramatischer, sprachlich komplizierter Text wie dieser ein geeignetes Übungsmaterial für junge Schauspielerinnen darstellen soll (die beiden Töchter werden von Studentinnen des Max-Reinhardt-Seminars gespielt, wo Luc Bondy unterrichtet).Der prinzipiell interessanten Situation (Kindesmißbrauch, einmal andersrum) gewinnen Strauß und Bondy nicht viel mehr ab als verschrobene Sprachbilder ("Das Salz stöhnt") und verschwommene Softsex-Szenen.Am Ende findet sich Abbia wieder in der Bushaltestelle wieder und stellt erleichtert fest, daß alles nur ein Traum, eben eine Lotphantasie, war."Ist ja gerade noch so eben mal gut gegangen." Das kann man auch anders sehen.

Tags zuvor gab im Akademietheater ein Regisseur und Autor seine Wiener Abschiedsvorstellung, der die Ära Peymann am Burgtheater entscheidend mitgeprägt hatte: George Tabori.15 Inszenierungen hat er in 12 Jahren an den diversen Spielstätten des Burgtheaters herausgebracht, darunter einen legendären "Othello" oder, im Vorjahr, die auf ein Minimum reduzierte Fassung von Becketts "Endspiel".Meistens aber schreibt sich der seit voriger Woche 85jährige Theatermann die Stücke selbst.Und weil er im Herbst mit Peymann ans Berliner Ensemble wechselt, war die zehnte Wiener Tabori-Uraufführung zugleich wohl auch die letzte: Sie führte ins "Purgatorium".

Das Fegefeuer ist - wie nicht anders zu erwarten - eine Theaterbühne.Auf der Feuermauer der einmal mehr leergeräumten Akademietheaterbühne steht in großen Lettern "Purgatorium" geschrieben, auf der Bühne selbst steht bloß ein Reihe Stühle; einziger sichtbarer Beitrag des Bühnenbildners (Paul Lerchbaumer) ist ein mit rot flackernden Lämpchen verziertes Portal.In diesem Purgatorium ist alles andere als die Hölle los.Unter Aufsicht eines gelenkigen Teufelchens namens Styx (Ursula Höpfner) nehmen nach und nach prominente Herrschaften Platz im Wartezimmer zwischen Himmel und Hölle: die Politiker Churchill (Heinz Schubert), Roosevelt (Rudolf Melichar) und Stalin (Hans Dieter Knebel), die Schriftsteller Marcel Proust (David Bennent) und Leo Tolstoi (Jevgenij Sitochin) sowie die Schauspielerin Sarah Bernhardt (Anne Bennent).Dazu kommt die historisch weniger bedeutende Figur eines Souffleurs namens Hacsek (Florentin Groll), der sich vor den Zug geworfen und dabei seinen Kopf verloren hat.

"Purgatorium" ist das erste Stück, das George Tabori, der normalerweise englisch schreibt, auf Deutsch geschrieben hat.Kleinere sprachliche Unsicherheiten gehören zum Konzept: Die "höheren Instanzen" haben beschlossen, daß im Purgatorium deutsch gesprochen werden muß, weshalb die Figuren mit Akzent und Versprechern ("Tinte, äh, Tunte, nein: Dante!") zu kämpfen haben.Deutsch als Strafe: Taboris subtile Rache für ein Leben in der Fremde, das ihn "sprachlos" gemacht hat.Ansonsten hält "Purgatorium" dem Vergleich mit Taboris besten Stücken nicht stand: Routiniert werden ein paar gute alte und ein paar müde neue Witze vorgebracht, und es ist nicht eindeutig zu sagen, ob sich Tabori das Fegefeuer als halblustige Zone vorstellt oder ob ihm nichts Besseres eingefallen ist.

Das 70 Minuten kurze Stück zum langen Abschied ist wie ein gespielter Witz aufgebaut (Treffen sich Stalin, Churchill und Roosevelt...), nur daß Tabori die Pointe diesmal für sich behalten hat.Himmel oder Hölle, das ist hier die Frage.Um die "höheren Instanzen" zu überzeugen, müssen am Ende alle etwas beichten.Als letzte ist Sarah Bernhardt an der Reihe; sie flüstert dem Teufel ihr Geheimnis ins Ohr, worauf dieser laut schreiend das Weite sucht.Vermutlich war das die Pointe.Wir haben sie bloß nicht hören können.Himmel oder Hölle? Vor der Entscheidung fällt der Vorhang.

WOLFGANG KRALICEK

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