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Kultur: Bordüre der Moderne

Wie Europas Kunst nach Amerika kam: Los Angeles würdigt Katherine S. Dreier

Im Deutschland der Zwanzigerjahre waren es vom Staat und den Städten bestellte Direktoren, die der künstlerischen Avantgarde Einzug in die Museen gewährten: Carl Justi, Gustav Friedrich Hartlaub, Alexander Dorner oder Max Sauerlandt. In den Vereinigten Staaten importierten hingegen drei Frauen und ein Mann in privater Mission die europäische Moderne nach Amerika: Katherine S. Dreier, Alfred H. Barr, Hilla von Rebay und Peggy Guggenheim. Dreier und von Rebay, beide deutscher Abstammung, waren als erfolgreiche Malerinnen überzeugt, es sei Sache der Künstler, nicht der Kunsthistoriker, sich um die Propagierung der Moderne im Land der unbeschränkten Möglichkeiten zu kümmern.

Hilla von Rebays Beitrag, das „Museum of Non-Objective Painting“, wird gerade in Berlin in der Deutschen Guggenheim vorgestellt. Alfred H. Barrs Heldenrolle als Prometheus, der die Moderne nach Amerika brachte und ihr wichtigstes Museum schuf, ist hier durch „MoMA in Berlin“ 2004 in der Neuen Nationalgalerie gefeiert worden. Wenig bekannt ist auf beiden Seiten des Atlantiks die Tatsache, dass Katherine S. Dreier zusammen mit Marcel Duchamp sowie Man Ray bereits 1920 die „Société Anonyme“ in New York gründete, um die europäische Moderne in Amerika zu zeigen – fast zehn Jahre vor Barr und zwanzig Jahre vor Rebay und Guggenheim. Eine großartige Ausstellung breitet jetzt die Aktivitäten dieser Künstlergesellschaft im Hammer Museum der Universität von Kalifornien in Los Angeles aus.

Verantwortlich für Ausstellung und Katalog ist die Yale University Art Gallery, eines der bedeutendsten Universitätsmuseen Amerikas. 1941 verkauften Dreier und Duchamp ihre Sammlung an die Universität in der Hoffnung, dort einen Ort für ihre erzieherische Mission zu finden, für die „Befreiung des menschlichen Geistes“. Mit der Übernahme der Privatsammlung Dreiers nach ihrem Tod 1952 umfasste der Bestand in Yale über tausend Kunstwerke von 180 Künstlern, von denen die Ausstellung nun 240 Arbeiten zeigt. Darunter sind Werke wie Duchamps drei Meter langes Gemälde „Tu m’“ von 1918. „Du langweilst mich“, so die Übersetzung und der Titel seines Abschieds von der Ölmalerei. Großartig auch Kasimir Malewitschs Messerschleifer von 1912/13 und Frank Stellas Brooklyn-Brücke von 1919/20.

Alles begann mit der ersten Ausstellung der anonymen Gesellschaft in gemieteten Räumen der 47. Straße in Manhattan, die am 30. April 1920 mit dem Zusatz „Museum of Modern Art“ eröffnet wurde. Duchamp firmierte anfangs als Präsident, Katherine S. Dreier als Schatzmeisterin und Man Ray als Sekretär der Gesellschaft. Die nun erstmals innerhalb der LA-Schau rekonstruierte Eröffnungsausstellung steht im Zeichen von Dada: angefangen mit Duchamps Emblem eines lachenden Esels bis zu seiner Gestaltung, die alle Rahmen der Gemälde mit Spitzenborten versah. Er hoffte, damit das Pathos musealer Präsentation brechen zu können.

Die Nähe zu Dada ist kein Zufall. Dreier, deren Interesse für die Moderne bereits auf der Kölner Sonderbundausstellung 1912 geweckt wurde, sah Duchamps Werke erstmals auf der legendären Armory Show 1913 in New York, bevor sie ihn 1916 im Kreis der späteren New Yorker Dadaisten um die Kunstsammler Louise und Walter Arensberg kennenlernte und sich vorübergehend als Direktorin in der „Society of Independent Artists“ engagierte. 1919 traf sie Max Ernst in Köln beim Aufbau seiner ersten Dada-Ausstellung, in Berlin lernte sie Herwarth Walden kennen, dessen Galerie „Der Sturm“ maßgeblich die Gründung der Société Anonyme beeinflusste.

Die Société Anonyme füllte nicht nur die Lücke, die die Schließung der Galerie 291 von Alfred Stieglitz 1917 hinterließ, sondern half amerikanischen Modernisten wie Marsden Hartley, Charles Demuth oder Charles Sheeler aus ihrer Isolation. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wuchs der Flüchtlingsstrom aus Europa; Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit in den USA nahmen zu, ebenso die Vorbehalte gegen moderne Kunst, die als europäischer Import galt.

In dieser Phase kann die Vermittlungsleistung von Katherine S. Dreier nicht hoch genug bewertet werden. Sie schuf mithilfe ihrer Künstlerfreunde ein erstes weltweites Netzwerk der Moderne, baute Brücken zu den bedrängten Vertretern der Moderne in Europa. Dreiers Bilanz nach 20 Jahren kann sich sehen lassen: Neben ihrer Sammlung organisierte sie mehr als 80 Ausstellungen, begleitet von 40 Katalogen.

Los Angeles, Hammer Museum, bis 20. August, anschließend Washington, Dallas und Yale University.

Eckhart Gillen

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