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Bessere Hälfte. Radu Lupu teilt sich einen Flügel mit Barenboim.

© Matthias Creutziger

Boulez Saal, die dritte: Ein Horizont für vier Hände

Ein bisschen wie Becketts Wladimir und Estragon: Daniel Barenboims und Radu Lupus großartig präziser Auftritt im Boulez Saal.

Es ist die dritte Probe aufs Exempel, der dritte Anlauf, um zu zeigen, was in diesem neuen Raum für Musik steckt. Nach den Eröffnungskonzerten und dem Vortrag von Jörg Widmann über „Schöne Stellen“ teilen sich Daniel Barenboim und Radu Lupu einen Flügel, der im Boulez Saal nicht auf dem Podium steht, sondern schlicht parterre. Die beiden grauhaarigen Pianisten kennen sich seit Jahrzehnten, und mit einer gewissen Brummigkeit, wie sie nur gute Freunde teilen können, setzen sie sich: Barenboim auf den Klavierhocker, stets den Fuß in Pedalnähe, Lupu auf einen Stuhl. Anfangs scheint der Platz für beide nicht auszureichen, die Klaviatur zu schrumpfen, die Anspannung greifbar zu werden.

Auf dem Notenständer, von einem Umblätterer sorgsam bewacht, liegen Noten von Schuberts Werken für Klavier zu vier Händen. Eine Hommage an den Komponisten, der diese diffizile Konstellation über das Galante hinaus erhoben hat, an die geteilte Wegstrecke zweier Pianisten und eine Vorschau auf den Sonaten-Zyklus, den Barenboim hier in zehn Tagen beginnen wird. Ein Einschwingen also auch auf den Saal, der wie ein luxuriöser Hörsaal wirkt – oder auch, wenn sich das Licht über dem offenen Steinway konzentriert, wie ein anatomisches Theater. Doch Barenboim und Lupu liegt an diesem Abend Dozieren ebenso fern wie Sezieren. Ihr Schubert fällt aus einer Zeit, in der Brillanz zur Mindestanforderung an Musiker geworden ist und jeder Fehlgriff für die CD korrigiert wird.

Die Akustik im Boulez Saal verträgt Applaus sehr gut.

Grummelig ist die Grundhaltung dieses Duos, der Blick in die Noten von leicht mürrischem Staunen begleitet. Was der Zuhörer dabei erfahren kann, ist weniger, wie traumhaft schön Schuberts Klaviermusik sein kann, besonders die späte Fantasie f-moll D 940. Bei Barenboim und Lupu rückt das Musizieren selbst in den Mittelpunkt des Saalovals. Jener sensible, stets gefährdete Akt, der sich so nur vor Publikum ereignen kann. Es erlebt Solisten, die fast ihr ganzes Leben im Rampenlicht verbracht haben – und jetzt doch nach einem gemeinsamen Rhythmus suchen müssen. Die ausprobieren, wie viel Raum die Verzierungen des anderen einnehmen können, einen Horizont suchen für vier Hände. Er liegt tief wie die untergehende Sonne. Unter ihr stapft es recht monoton vor sich hin, selten geht der Blick von den Noten in den Himmel. Barenboim und Lupu könnten als Becketts Wladimir und Estragon durchgehen, auch wenn sie deren Credo „Nur keine Nachlässigkeit in den kleinen Dingen“ nur bedingt teilen. Die Akustik im Boulez Saal verträgt Applaus sehr gut. Füßetrampeln ebenso. Ulrich Amling

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