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Boykott: Naipaul sagt Besuch in Istanbul ab

V. S. Naipaul könnte der Streitkultur in der Türkei einen großen Dienst erwiesen haben, ohne einen Fuß ins Land gesetzt zu haben. Der Schriftsteller reagiert auf Kritik von Islamisten - und sagt seine Teilnahme an einem Schriftstellerkongress in Istanbul ab.

Nach Boykottaufrufen islamistischer Intellektueller hat der wegen antiislamischer Äußerungen umstrittene Literaturnobelpreisträger seine Teilnahme an einem Schriftstellerkongress in Istanbul abgesagt – und damit eine Debatte über die Grenzen der Toleranz losgetreten.

Der in Trinidad geborene, in England lebende Literaturnobelpreisträger sollte als Ehrengast bei einem Treffen des Europäischen Schriftsteller-Parlaments am Bosporus auftreten. Doch er verzichtete auf seine Reise nach Istanbul, nachdem islamistische Autoren gegen abfällige Bemerkungen Naipauls über den Islam protestiert und angekündigt hatten, sich keinesfalls mit dem Gast an einen Tisch setzen zu wollen. Naipaul wurde vorgeworfen, er habe gläubige Muslime als „parasitär“ bezeichnet. Angeführt von Hilmi Yavuz, einem Kolumnisten der religiös-konservativen Zeitung „Zaman“, kritisierten islamische Intellektuelle die Einladung an Naipaul. Beim nächsten Mal solle man gleich die Zeichner der dänischen Mohammed-Karikaturen einladen, schrieb Yavuz. Naipaul erklärte seinen Verzicht, der Kongress fand ohne ihn statt.

Das ist peinlich für die Türkei, wurde die Konferenz doch im Rahmen des Istanbuler Jahres als Europäische Kulturhauptstadt angesetzt. Zudem hat das unter anderem vom türkischen Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk unterstützte Schriftsteller-Parlament das Ziel, der interkulturellen Verständigung zu dienen. Pamuk, der vor fünf Jahren wegen umstrittener Äußerungen zur Armenierfrage vor Gericht gestellt wurde, kann ein Lied davon singen, was es heißt, in der Türkei unpopuläre Thesen zu vertreten. Derzeit sitzt der türkisch-stämmige Autor Dogan Akhanli aufgrund einer fragwürdigen Anklage im Zusammenhang mit einem Verbrechen aus den frühen achtziger Jahren in türkischer Untersuchungshaft; die in Berlin lebende Soziologin Pinar Selek soll wegen angeblicher Beteiligung an einem Bombenanschlag in der Türkei lebenslänglich ins Gefängnis (Tagesspiegel vom 25. 11.). Vor wenigen Wochen hatte der serbische Regisseur Emir Kusturica ein Filmfestival im südtürkischen Antalya verlassen, an dem er als Mitglied der Jury teilnehmen sollte. Auch ihm wurden antimuslimische Äußerungen vorgehalten.

Interessanterweise beklagen auch Vordenker der religiös-konservativen Strömung den Umgang mit Naipaul. Nicht mit Boykott und Abgrenzung, sondern mit Respekt und Diskussion müsse Andersdenkenden begegnet werden, forderte der Kolumnist Fehmi Koru, einer der führenden Köpfe des islamistischen Lagers in der Türkei. Die Türkei werde noch häufiger mit „Typen“ wie Naipaul konfrontiert werden, deshalb müsse das Land zu einem Ort werden, wo Menschen wie er über den wahren Islam aufgeklärt werden, schrieb Koru. „Wir haben eine große Chance vertan.“

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