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Jeder Zoll ein König. Klaus Maria Brandauer als Lear.

© Reuters / Heinz-Peter Bader

Brandauer an der Burg: Knopf im Ohr

Der Regisseur Peter Stein debütiert mit Shakespeares „King Lear“ und Klaus Maria Brandauer am Wiener Burgtheater. Trotz Starbesetzung: Leider kein Sturm auf der Heide.

Wien am Ring, letzter Adventssamstag. Die Glühweinstände am Weihnachtsmarkt sind voll besetzt, ebenso das Burgtheater, als kurz nach 18 Uhr aus der linken Gasse, jeder Zoll ein König, Brandauer im schweren Pelz mit Gefolge auf die Bühne stürmt. Er stoppt in der Mitte, nimmt mit Brandauer-Blick sein Publikum ins Visier, knallt ein Tierfell vor sich hin, dass es staubt: die Karte Britanniens.

Um seinen Thron baut sich wieselflink ein Tableau auf: rechts und links die Töchter Goneril (Corinna Kirchhoff in Grün) und Regan (Dorothee Hartinger in Rot), zu Lears Füßen, an sein Bein geschmiegt, die blonde Cordelia (Pauline Knof in Weiß). Lear krault sie wie sein Kätzchen und lächelt sein verschlagenes Brandauer-Lächeln. Das Wer-liebt-mich-am-

echtesten-Verhör kann beginnen.

Peter Stein hat bei seinem späten Burg-Debüt mit Klaus Maria Brandauer „König Lear“ inszeniert. Um es vorwegzunehmen: Nach vier Stunden, kurz nach 22 Uhr, hat man eine Peter-Stein-Inszenierung mit Klaus Maria Brandauer gesehen. Wie nicht anders zu erwarten nach vier Zusammenarbeiten seit 2007: „Wallenstein“ und „Der zerbrochne Krug“ in Berlin, „Ödipus auf Kolonos“ in Salzburg und „Das letzte Band“ in Neuhardenberg – damit gastierte Brandauer diesen Juni an seinem 70. Geburtstag an der Burg.

Im „König Lear“, dem schwärzesten, hoffnungslosesten Drama Shakespeares, geht es darum, dass ein greiser Herrscher seine Macht freiwillig abgibt und danach keineswegs ein glücklicher Pensionist, sondern ein Fall für die Psychiatrie wird. Dass einer sich ganz nackt macht, als wolle er sich für die Liebe vorbereiten, die er vielleicht nie erlebt hat.

Brandauer konnte man kürzlich im Kino und im Fernsehen in zwei berührenden, erschreckenden Studien des Altersverfalls erleben: als Wilhelm Reich in den repressiven USA der fünfziger Jahre („Der Fall Wilhelm Reich“) und als Demenzkranker im Wien von heute („Die Auslöschung“). Was für ein Gesicht, was für Augen! Was für eine Verlorenheit und Nacktheit! Was hätte das für ein Lear werden können!

Doch ach, Peter Stein inszeniert in den letzten Jahren zumeist große Oper in großen Häusern, in denen es darum geht, die Totale zu füllen und kapellmeisterfreundliche Arrangements zu bauen. Das Beklagenswerte: was bereits im Musiktheater etwas Antiquiertes hat, ist nicht erst seit gestern in Steins Sprechtheaterarbeiten eingedrungen. Aus dem Meister der szenischen Durchdringung und des wahrhaftigen schauspielerischen Ausdrucks ist ein Arrangeur geworden.

„König Lear“ also als Oper ohne Musik, auf der leeren, von einem Holzportal gerahmten elisabethanischen Bühne von Ferdinand Wögerbauer. Kostbare Kostüme. Windstille Arrangements. Standbein, Spielbein. Steifes Rampentheater. Eine ganze Fünfzigschaft Bärenkappen-Ritter als Lears Gefolge, mit einem erlegten Zwölfender-Hirsch (oder war’s ein Elch?) in Steiff-Knopf-im Ohr-Ausfertigung.

Wobei die Rede von Brandauers Stimme sein muss. Seine bekannten Manierismen sind an diesem Abend besonders befremdlich. Was für ein gepresstes, gefisteltes Schmettern beim Zornesausbruch! Was für ein genuscheltes, fast privates Reden im Wahnsinn! Auch im weißen, dekorativ schmutzigen Hemdchen ist dieser Lear niemals nackt, unverstellt. Brandauer und sein Regisseur dringen nicht zum Kern dieses Menschen vor. Beide noch zu vital, zu unbereit abzutreten?

Dagegen hat Joachim Bißmeier als Gloster, ein spilleriger, spitzbärtiger Intellektueller, eine ganz andere Durchlässigkeit und Hinfälligkeit. Und einer von der jungen Garde, Fabian Krüger als Edgar, erstritt sich bei Stein sogar das Recht zur Improvisation. In der Heide-Szene, als irrer Thom, tanzt er mit einer grauen Wolldecke einen hinreißenden Pas-de-deux, wickelt sich ein, verwandelt sich in einen Elefanten: sieh da, ein Spieler!

Für Gloster und ihn gab es sogar Szenenapplaus bei: „S’ ist Fluch der Zeit, Verrückte führen Blinde.“ Da haben die Wiener wohl an ihre eben wieder angelobte große Koalition gedacht.Andres Müry

Andres Müry

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