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Kultur: Brautgeld, Honorar, Liebeslohn

Schillernd: ein Film aus Iran über die Zeitehe

Für einen lauen Sommerabend ist der Kinosaal erstaunlich prall gefüllt. Am Freitagabend kommt Sudabeh Mortezais Dokumentarfilm „Im Bazar der Geschlechter“ im Neuköllner Rollberg-Kino zu verspäteten Premierenehren – schließlich hat der Film der Wiener Filmemacherin schon vor zwei Jahren bei internationalen Dokumentarfilmfestivals begeistert. Gedreht wurde er noch ein Jahr zuvor, 2008. Wichtig ist das deswegen, weil im Juni 2009 die sogenannte Grüne Revolution kurz und hoffnungsvoll die Verhältnisse im Iran zum Tanzen brachte. Danach aber wurde die Repression noch härter. So ist die Tatsache, dass Mortezais Dokumentation legal und ungehindert von der Zensur entstehen konnte, auch schon wieder eine Reminiszenz an einen liberaleren Iran.

Aktuell ist der Film dennoch: Es geht um sogenannte Zeitehen. Die schiitische Tradition ermöglicht sexuelle Begegnungen außerhalb der regulären Ehe in gottesgefälligem Rahmen und hat bisher nur im Iran eine legale, wenn auch tabuisierte Form gefunden. Dabei wird das bei der islamischen Heirat übliche Brautgeld durch eine Art Honorar für die Ehefrau auf Zeit ersetzt. Die Mut’ah(Genuss)-Ehe kann dabei von 30 Minuten bis zu Jahren dauern, Art und Anzahl möglicher Sexualkontakte und Lohn werden vertraglich festgelegt. Der Mann darf unzählige solcher Zeitehen parallel und heimlich eingehen, die Frau jeweils nur eine, außerdem soll sie zwischen zwei Ehen für zwei Regelblutungen pausieren.

Wie es mit dieser Pause nach den Wechseljahren aussehe, wird ein Mullah gefragt, der gerade mit viel Stempelei und Floskeln solch eine Zeitehe beglaubigt: Im Prinzip sei die der Legitimation eventuell gezeugter Kinder geschuldete Pause dann überflüssig – aber, fügt er mit süffisantem Lächeln hinzu, wer will schon eine solche Frau? Auch sonst wird schnell klar, dass die Zeitehe vor allem der Befriedigung männlicher Sexualbedürfnisse außerhalb der Ehe einen legitimer Rahmen gibt. Schön illustriert die Filmemacherin das in einem ironischen Prolog: Als Mohammeds gen Mekka pilgernde Gefährten den Schönheiten der Stadt zu erliegen drohten, holte der Prophet von ganz oben den Rat, die Frauen einfach für die Zeit des Aufenthalts zu verehelichen. „Gott ist allwissend und weise“, heißt es in Sure 4, Vers 24 des Koran, die diese Eingebung beschreibt.

Noch weiser wirkt etwa der Mullah, der unter dem Label eines Wohltätigkeitsvereins eine Agentur betreibt, die notleidende alleinstehende Frauen in Zeitehen vermittelt. Das soll der Prostitution Einhalt gebieten, heißt es, kommt ihr jedoch auffällig nahe. Immerhin kommen daneben Betroffene beiderlei Geschlechts zu Wort: zwei Ex-Zeitverehelichte, von denen sich die Frau jetzt offensichtlich mit ,echter’ Prostitution durchschlägt. Geschiedene, die ums materielle Überleben kämpfen. Und Verzweifelte, die noch auf ihr Glück hoffen. Denn die Zeitehe kann, etwa von geschiedenen oder verwitweten Frauen, auch genutzt werden, sich gegen die Gesellschaftszwänge etwas mehr individuelle Freiheit zu erkämpfen. Wobei der tapfere Galgenhumor dieser Kämpferinnen die filmische Reise in die Trutzburg patriarchaler Doppelmoral erst erträglich macht. Abendländische Arroganz ist dennoch fehl am Platz in einer Gesellschaft, die ihren eigenen Prostituierten die Gewaltverhältnisse von Zuhälterei und Frauenhandel zumutet.

Nach der Vorführung wurde die Regisseurin von Zuschauerinnen gefragt, ob ihre unverschleiert auftretenden Heldinnen unwissend in große Gefahr geraten seien. Noch seien alle wohlauf, sagte Mortezai – und zudem hätten sie sich möglicher Gefährdung bewusst gestellt – in der Hoffnung auf größtmögliche Öffentlichkeit. Solidarität ist da nötig, falscher Opferschutz nicht. Silvia Hallensleben

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