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Kultur: Bravos in Bahia

Wie junge Brasilianer Klassik lieben lernen.

Im Teatro Castro Alves kriecht die feuchte tropische Luft durch alle Ritzen. Da hilft auch die Klimaanlage nichts. Die schwarz gelockten Jugendlichen, die in den modrig riechenden Fluren, in den Proberäumen und sogar im Aufzug auf ihren Instrumenten üben, stört das nicht. Dass sie gemeinsam musizieren können, verdanken sie Ricardo Castro. Der brasilianische Pianist und Dirigent gründete vor fünf Jahren in Salvador da Bahia, im Nordosten des Riesenlandes, das Jugendorchestersystem „Neojibá“, das sich am Vorbild „El Sistema“ aus Venezuela orientiert.

Mit finanzieller Unterstützung des Bundesstaates Bahia spielen Kinder und Jugendliche aus allen Schichten in Orchestern und lernen dabei nicht nur Noten, sondern vor allem auch soziales Verhalten. Denn nur wenn alle an einem Strang ziehen, die Stimmen der anderen respektieren, kommt es zum gemeinsamen Ergebnis – und Erlebnis. Das beste dieser neuen Ensembles, das Jugendorchester von Bahia, trat im August 2011 mit Castro und der Pianistin Maria João Pires im Berliner Konzerthaus auf, beim „Young Euro Classic“-Festival.

Um den Austausch zwischen den jungen Brasilianern und Profi-Musikern aus Deutschland zu fördern, veranstaltete die Deutsche Welle jetzt in Salvador Workshops und ein Konzert. Das Polyphonia Ensemble aus Berlin gab dabei dem Nachwuchs in Meisterklassen den letzten Schliff. Im Teatro Castro Alves brachte die von Bläsern des Deutschen Symphonie-Orchesters gegründete Formation sogar ein Stück des brasilianischen Komponisten André Mehmari zur Uraufführung. Es ist nicht das erste Mal, dass die DSO-Musiker junge Kollegen abseits der großen Konzertzentren unterstützen. Frühere Projekte mit dem Auslandsrundfunk führten bereits nach Nordafrika, auf den Balkan und ins Westjordanland. Am Pult des Jugendorchesters von Bahia stand der venezolanische Dirigent Manuel López Gómez, nach Gustavo Dudamel und Diego Matheuz ein weiteres, viel versprechendes Talent aus der Eliteförderung von „El Sistema“.

„Unsere Musiker werden in der Stadt wie Popstars gefeiert“, erklärt Castro stolz. „Bei uns stößt niemand auf Barrieren. Viele Familien haben noch nie ein Orchester gehört, bevor sie zu uns kommen. Inzwischen sind sie unsere Fans geworden."

In den nächsten Jahren soll „Neojibá“ auf den gesamten Staat Bahia ausweitet werden. Castro, der in den achtziger Jahren in der Schweiz studiert hat, weiß aber auch, dass sein Projekt ein internationales Publikum braucht. Außer in Berlin war er mit dem Jugendorchester von Bahia darum schon in London, Genf und Lissabon. Auch die Deutsche Welle hat übrigens ihre Hilfe bei dem ehrgeizigen Plan zugesagt, das brasilianische Orchestersystem überall in der Welt bekannt zu machen. Corina Kolbe

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