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Brecht mit Kante: Mein Cousin, der Kapitalist

Eine Inszenierung wie mit äußerst heißer Nadel gestrickt: Friederike Hellers „Der gute Mensch von Sezuan“ an der Schaubühne.

Die „Erleuchteten“ haben keinen leichten Job. Sie sollen bei ihrem Kontroll-Abstieg ins Irdische einen rundum guten Menschen aufspüren, finden aber überall nur prosaisches Hauen und Stechen vor. „Um zu einem Mittagessen zu kommen, bedarf es der Härte, mit der sonst Reiche gegründet werden“. Entsprechend lassen die drei Götter von der statistischen Augenwischerei bis zum halblegalen Subventionspaket kein Realität verzerrendes Hilfsmittel aus. Hauptsache, man muss nicht den Offenbarungseid leisten und das ganze System für gescheitert erklären.

Regisseure und Regisseurinnen, die sich das Lehrstück vom „Guten Menschen von Sezuan“ vornehmen, bürden sich ein ähnliches Mammutprogramm auf wie diese „Erleuchteten“-Trias. Denn Bertolt Brecht exerziert die Unmöglichkeit, Eigen- und Nächstenliebe materiell in Einklang zu bringen, betont plakativ durch. Die von den Göttern auserwählte Prostituierte Shen Te kauft sich von dem „oben“ nicht abgesegneten Existenzgründungszuschuss ein Tabakgeschäft, das sofort zum Asyl für allerlei mittel- und skrupellose Menschen wird. Hier eine edelmütig spendierte Stange Zigaretten, da ein geschenktes Schüsselchen Reis und dort ein Darlehen an den Geliebten: Um aus lauter Mildtätigkeit nicht in den eigenen Ruin zu schlittern, muss der gute Mensch Shen Te immer öfter „verreisen“ und in Gestalt des bösen, eigens erdachten Cousins Shui Ta zurückkehren, der den insolvenzbedrohten Laden zum profitablen Tabakkonzern hochökonomisiert.

Friederike Heller versucht bei ihrem Regiedebüt an der Berliner Schaubühne, Überdeutlichkeit mit Überdeutlichkeit zu kontern: Sie verpasst dem Personal eine gründliche Ironie-Dusche. Wie bei einer Leseprobe sitzen die Darsteller zu Beginn in Alltagsklamotten auf der Bühne; arrangiert um die Hamburger Band Kante, die mit ihrer feinen Mixtur aus Paul-Dessau- Reverenzen und eigenem Jazzrock am ehesten Brücken ins Heute schlägt.

Hellers Veranstaltung bleibt letztlich zu brav

Jule Böwe nölt derweil mit pinkglänzenden High Heels die Charity-Lady Shen Te ins Mikro und mutiert nach lässigem Überwurf eines Bademantels zum Businessman Shui Ta. Auch ihren fünf Kollegen, die sich ins restliche Dutzend Rollen teilen, reichen zwei, drei Accessoires, um von einer Figur zur nächsten zu springen. Beim ersten Mal ist es sicher nicht ohne Witz, wenn Ulrich Hoppe dank eines pinkfarbenen Pappfaschingshütchens von der armen Teppichhändlerin zur verzickten Hauseigentümerin Frau Mi Tzü aufsteigt oder Ernst Stötzner via Cowboyhut aus dem Unterschichtler Wang den Friseurladenbesitzer Shu Fu zaubert. Nur geht das dann dreieinhalb Stunden so durch; praktisch in einem einzigen Tonfall.

Während sich die vorlagengetreu abgehakten Handlungsstationen ändern, tritt der Rest auf der Stelle. Für Hellers offensichtliches Vorhaben, das Lehrstück in enthemmter Spiellust aufzulösen, bleibt die Veranstaltung letztlich zu brav. Und Kostümwitz hin, Kalauer her: Das Stilmittel der Ironisierung ist, zumal bei Brecht, eben leider derart konsensfähig, dass man sich tatsächlich zusehends nach dem Mehrwert des Abends fragt. Die Inszenierung wirkt wie mit äußerst heißer Nadel gestrickt. Heller scheint damit in mehrerlei Hinsicht nicht so recht fertig geworden zu sein.

Das ist zwar schade, aber auch kein wirkliches Drama bei dieser Regisseurin, die in ihren Wiener Handke-Inszenierungen oder auch dem jüngsten „Wilhelm Meister“ am Staatsschauspiel Dresden stets eine Menge Witz, Intelligenz und Konzeptionsstärke bewiesen hat. Auf ein Neues!

Wieder vom 27. bis 29.4., 20 Uhr

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