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Kultur: Bring mir den Mond Weites Land, enge Städte: chinesische Filme im Forum

Ist es eine leuchtende Perle? Oder ein kleiner Mond?

Ist es eine leuchtende Perle? Oder ein kleiner Mond? Die drei mongolischen Jungs sind sich irgendwann sicher: Was sie da im Fluss gefunden haben, ist nichts anderes als der kostbare Nationalball. Und um ihn nach Peking zurückzubringen, machen sie sich schließlich heimlich auf, quer durch die Wüste Gobi.

Was so ein kleiner Tischtennisball alles anrichten kann, in jenem abgelegenen Winkel Chinas, wo man noch nie einen Tischtennisball gesehen hat. Überhaupt sind die Segnungen der Zivilisation, die bis dort gelangen, höchst zweifelhaft. Der Fernseher, den ein fahrender Händler dem Vater für ein Schaf verkauft, zeigt trotz aufwändiger Antenneninstallation kein Bild und sehr verrauschten Ton – da wird die Übertragung des nationalen Tischtennisturniers zum ungelösten Rätsel. Und das Kaffeeservice, das der Händler als „eine besondere Art ausländischen Tees“ anpreist, ruft in der Großfamilie nur verhaltene Begeisterung hervor.

Ein letztes Paradies also, die Mongolei, wo die Familien in Zelten hausen und die Landschaft weit und leer ist? Fast möchte „Lü Cao Di“ (Mongolian Ping Pong) es glauben lassen, Ning Haos Film erzählt aus der Sicht dreier Knirpse, für die das Leben ein einziger Abenteuerspielplatz ist. Zu Pferd und mit Motorrad streifen sie Tag und Nacht durchs Land, und das Schlimmste, was ihnen droht, ist eine elterliche Tracht Prügel, wenn sie zu lange weggeblieben sind. Das Ende des Films, und des Sommers ist gleichzeitig das Ende der Unschuld und der Freiheit: Mit dem Schulbesuch beginnt für die Kleinen der Drill. Notwendig, aber traurig.

Es sind die entfernten Winkel des chinesischen Riesenreichs, die uns auf dieser Berlinale besonders nahe rücken – sei es in der liebenswürdig heiteren Kindergeschichte von „Mongolian Ping Pong“, sei es in brutalerer Form bei „Kekexili“ (Mountain Patrol). Auch hier das weite, leere Land, das sich für seine Bewohner jedoch schnell als tödlich erweisen kann. Schneestürme, Treibsand, Salzseen und nirgendwo Wasser, nirgendwo Benzin - wer sich, mit dem Jeep oder zu Fuß, in die Gebirgseinöde wagt, muss damit rechnen, nicht zurückzukommen. Dass sie auf verlorenem Posten kämpfen, ist für die selbst ernannte Wildhütertruppe von Anfang an klar. Tausende Antilopen werden jedes Jahr von Wilderern getötet, der kostbaren Wolle wegen, die sich so gut in den Westen exportieren lässt. Die Kadaver bleiben liegen, ein Fressen für die Geier, und oft dürfen die Wildhüter nur die Knochen begraben. Und fallen sie in die Hände der Wilderer, werden sie getötet, gnadenlos abgeschlachtet wie die Antilopen. Begraben tut sie keiner.

Es ist eine Heldengeschichte im Stil eines klassischen Westerns, die Lu Chuan in „Kekexili“ erzählt: eine Sage wie aus alten Zeiten, auch wenn die Handlung erst zehn Jahre zurückliegt. Im Zentrum steht die charismatische Figur von Ri Tai, dem Anführer der Wildhüterbande: ein Clanchef in schwarzem Leder, ungeduldig, gewalttätig, selbstherrlich, der seine Truppe in Angst und Schrecken hält. Als Beobachter verschlägt es einen jungen Reporter in die Truppe, er folgt den Wildhütern und gewinnt Verständnis, ja Bewunderung für sie. Sein Bericht rüttelt schließlich die Welt auf, die Regierung in Peking setzt eine staatliche Aufpassertruppe ein, die Wildhüter werden entlassen. Was bleibt, ist ein vergilbtes Foto.

Um Häute geht es auch in „Niu Pi“ (Oxhide), der eine andere Seite Chinas zeigt. Die 23-jährige Liu Jiayin hat einen Tag im Leben ihrer Familie porträtiert. Zu dritt haust man in einer Einzimmerwohnung in Peking, und diese engen Räume wird die Kamera nie verlassen. Aus Ochsenhaut stellt die Familie Taschen her. Lange Sequenzen sieht man nichts als Hände, die Hautstücke zuschneiden oder Gemüse für das Abendmahl, oder man hört Vater und Tochter über den Text für den nächsten Werbezettel diskutieren. Schmerzhaft nah, schmerzhaft eng das alles, wenn man zurückdenkt an die Weite der Mandschurei – und doch sehr humorvoll. So hofft der Vater, seine Tochter möge größer werden als er und misst allabendlich die Fortschritte nach. Und die Mutter lehrt die burschikose Tochter, wie man elegant gehen kann, zwei Schritte vor, zwei Schritte zurück. Die Flucht aus dieser freundlichen Familienhölle wird nicht versucht - Liu Jiayins Film zeugt von Dankbarkeit, nicht von Rebellion. Er ist den Eltern gewidmet.

Das weite Land, die enge Stadt: Gegensätze prägen das chinesische Leben. Deutlich wird das am wohl eindrucksvollsten Film, dem knapp dreistündigen Dokumentarfilm „Yan Mo“ (Before the Flood) von Yan Yu und Li Yifan. Zwei Jahre lang haben die Dokumentaristen die Stadt Fengjie beobachtet, die durch das Staudammprojekt am Yangtse umgesiedelt werden muss. Die Einwohner rebellieren: sie weigern sich, zur Verlosung der neuen Wohnungen zu kommen, errichten sich lieber Barackenbauten unter Brücken, als in die gesichtslosen Neubaublocks zu ziehen, und sind durchdrungen von dem Gefühl, dass sie nur betrogen würden: von der Regierung und vor allem von den Städtern, die sich längst die besten Wohnungen gesichert hätten. Am Ende fällt die tausend Jahre alte Stadt in Schutt und Trümmer, während das braungrüne Wasser des Flusses langsam steigt. Der Abschied von Gestern prägt die chinesischen Filme der Jetztzeit mindestens so sehr wie der Glaube an den Fortschritt von Morgen.

Christina Tilmann

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