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Sir Mark Elder.

© Ingpen & Williams

Britisches Youth Orchestra beim YEC-Festival: Das Lied vom Ende

Beim Young Euro Classic Festival in Berlin wagte sich Mark Elder mit dem National Youth Orchestra of Great Britain an Mahlers Neunte, eine irre schwere 90-Minuten-Monster-Symphonie.

Am Sonntag das Bundesjugendorchester, am Montag das National Youth Orchestra of Great Britain, das sind gleich zwei Hochkaräter nacheinander, noch dazu mit denkbar anspruchsvollem Programm. Die Briten, erstmals bei Young Euro Classic zu Gast, kommen mit Mahlers Neunter; an die irre schwere 90-Minuten-Monster-Symphonie für fast 100 Musiker wagten sich beim YEC-Festival bislang nur das Bundesjugendorchester (sic!) im Jahr 2001 und die Junge Sinfonie 2005.

Zerfall, Verwesung, Apokalypse, ist das Stoff für ein Jugendkonzert? Musik, die amorph wird und sich selber atomisiert, die vom Ende der Symphonie kündet und den Tod im Gepäck hat, mit Zitaten aus Mahlers „Kindertotenliedern“? Gesellschafts-Journalist Alexander von Schönburg als Pate des Abends bejaht dies aus vollem Herzen: Gerade die Kompromisslosigkeit der Jugend prädestiniere sie für Tiefe und Tragik. Keine Frage, bloß dass Mahlers Neunte eben nicht nur der Sehnsucht und Verletztheit Ausdruck verleiht, sondern selber verletzt. Diese Musik setzt sich hässliche Fratzen auf, wird derb, schmutzig, hemmungslos, böse. Derart loszulassen, das trauen sich all diese großartigen Musiker (das Horn! die Trompete! die Streicher-Solisten!) dann doch nicht.

Mark Elder verfehlt Mahlers irritierendes Moment

Zudem scheint sich Mark Elder am Pult für Mahlers Klangfarbenkunst kaum zu interessieren. Sein Dirigat verfehlt das Irritierende von Mahlers letzter vollendeter Symphonie, die Ungeheuerlichkeit, mit der sie Charaktere und Timbres mischt. Dennoch berührend: wie sich das große finale Abschiedsgebet unweigerlich in ein süßes Nichts auflöst. Schade nur, dass einer verfrüht in die Stille hinein applaudiert.

Warm gespielt hatten sich die Briten übrigens ohne Dirigent, bei voller Besetzung! Mit einer neuen Komposition der Britin Tansy Davies, „Re-greening“ in deutscher Erstaufführung, einer Naturlautmalerei mit flirrenden Klangflächen, flatternden, schwirrenden Streichern und Bläsern, dem Schlagzeug als Unruhestifter sowie etlichen gesungenen Passagen. Das National Youth Orchestra, angeblich das weltweit größte seiner Art und mit über 67 Jahren auch eins der ältesten, kann getrost auch als Chor auftreten. Glockenhell und rein der A-Cappella-Choralschluss, my compliments!

Wo bleiben die Frauen?

Kleine Wehmut am Rande: Wieso finden sich in diesen exzellenten Jugendorchestern weit mehr als 50 Prozent Musikerinnen, nicht aber in den Profi-Ensembles? Wo bleiben die Frauen, wenn es nach dem Studium in den Beruf geht? Zu Hause bei den Kindern, immer noch, immer wieder? Kann die Klassikszene sich nichts Besseres einfallen lassen?

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