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Kultur: Brüder, fliegt von euren Sitzen

Eine

von Gregor Dotzauer

Das dunkelste Gedicht der Welt stammt nicht vom späten Hölderlin oder vom späten Paul Celan – es stammt vom jungen Schiller. Dass darin Götterfunken sprühen und Sonnen fliegen, ändert nichts an seiner schweren Verständlichkeit – und das ist für den Nonsense, der in Schillers Ode „An die Freude“ steckt, noch schmeichelhaft gesagt. Wenn nicht alljährlich Tausende von Chören den Text zum Schluss von Beethovens neunter Symphonie gedankenlos nobilitieren würden, er wäre höchstens eine der großen komischen Leistungen der deutschen Literatur, gleich Joachim Ringelnatz’ „Abendgebet einer erkälteten Negerin“, oder ein Mahnmal für den Verlust dichterischer Kontrolle im Suff: „Brüder, fliegt von euren Sitzen,/Wenn der volle Römer kreist /Lasst den Schaum zum Himmel sprützen:/Dieses Glas dem guten Geist.“ Wer sich bemüßigt fühlt, Schiller zu verteidigen, braucht nur einmal in aller Ruhe den vollständigen Text zu lesen – oder Hans Weigels furiosen Verriss aus dem Jahr 1971.

Es begibt sich nun aber, dass zwischen den alten Konkurrenten Leipzig und Dresden ein Streit ausgebrochen ist, wo Schillers Ode denn entstanden sei. Kurz vor der Wiedereröffnung des Dresdner Schillerhäuschens zum 200. Todestag im Mai hat Werner Barlmeyer, der Direktor des Stadtmuseums, Anspruch darauf erhoben, dass Schiller 1785 von Christian Gottfried Körners Weinberghaus am Loschwitzer Elbhang aus alle Wesen an die Brüste der Natur schicken wollte. Leipzig wiederum hält in seiner touristischen Werbung seit Jahren daran fest, dass er in Gohlis, wo ihn der nämliche Freund Körner zu sich, ins heutige Schillerhaus, eingeladen hatte, den Chor der Engel durch den Riss gesprengter Särge singen hörte.

Tatsache ist, dass Schiller sich im fraglichen Jahr in beiden Städten aufhielt. Tatsache ist auch, dass es zwei Fassungen der Ode gibt: einen Entwurf und eine kürzere Druckversion. Was tun? Zur Wahrheitsfindung hilft es nicht einmal mehr, Schiller zu exhumieren. Die Antwort kennt der Text allein. Und der weist als Entstehungsort eindeutig auf eine ferne Galaxis und einen Alien als Autor hin: „Ahndest du den Schöpfer, Welt? / Such ihn überm Sternenzelt, /Über Sternen muss er wohnen.“

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