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Kultur: Brüder im Geist

„Brüder haben ein Geblüt, selten ein Gemüt“, lautet ein Sprichwort. Am besten also, man sucht sich seine Geschwister nach dem Gemüt aus und besiegelt erst nachträglich – nach Art der Indianer – die Bruderschaft mit Blut.

„Brüder haben ein Geblüt, selten ein Gemüt“, lautet ein Sprichwort. Am besten also, man sucht sich seine Geschwister nach dem Gemüt aus und besiegelt erst nachträglich – nach Art der Indianer – die Bruderschaft mit Blut. So ging der 1963 in China geborene Künstler Yang Shaobin zu Werke, als er im Wiener Aktionisten Hermann Nitsch einen Geistesverwandten entdeckte. Galerist Alexander Ochs führte die beiden in seiner Pekinger Galerie in einer blutroten Ausstellung zusammen, die nun unter dem Titel „Retour China“ in Berlin zu sehen ist (Sophienstraße 21, bis 9. September, Sommerpause vom 31. Juli bis zum 26. August). Ochs öffnet erstmals seine Berliner Galerieräume für einen europäischen Künstler– zu gut gehen Nitsch und Yang zusammen. Allein diese Farben: dieses alles beherrschende Rot, dann dieses schmutzige Braun und Grün. Yang Shaobin, der als Kind in einem Bergbaugebiet täglich mit Brutalität konfrontiert war, stellt in Bildern und Skulpturen (28 000 bis 130 000 Dollar) schmerzverzerrte Gesichter und gekrümmte Körper dar. Selbst wenn er eine Sonnenoberfläche mit farbkräftigen Eruptionen malt, wird das offenbar universale Prinzip gegenseitiger Durchdringung sich widersprechender Ansprüche sichtbar. Auch Hermann Nitsch sucht in seinen Arbeiten (15 000 bis 50 000 €) ein kosmisches Moment in tiefsten Tiefen. Doch seine regelrecht besudelten roten Schüttbilder und seine Altäre von verschiedenen Orgien-Mysterien-Theaterspielen nähern sich der Gewalt bejahender als Yangs Anklagen. Nitschs Kunst: Spiel mit dem Rausch, Yangs Kunst: Traumata.

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Verwandt in Geblüt und Gemüt sind die eineiigen Zwillinge Maria und Natalia Petschatnikov. Die 1973 in St. Petersburg geborenen Künstlerinnen arbeiten stets zusammen und offenbaren nicht, wer welchen Anteil an einer Arbeit hat. Doppelte Wahrnehmung thematisieren sie in ihrer Kunst. Bei Herrmann & Wagner haben sie die Installation „Double Take“ aufgebaut, die den Besucher in das Innere des Computerprogramms „Photoshop“ nimmt (Koppenplatz 6, bis 29. Juli). In diesem Zwillingsforschungslabor präsentieren die Schwestern ihre Bilder, die von Überlagerung der Erfahrungen handeln (800 bis 6000 Euro). Das Thema der technischen Reproduzierbarkeit drängt sich auf. Auf den Bildern tauchen Motive zweimal auf, die Bilder selbst malen die Petschatnikovs in mehreren Versionen, mal auf Leinwand, dann auf Pergament. Eine Tüte, die auf einem Bild in einem Baum hängt, schwebt im Galerieraum über einem Ventilator. Ein Wald nur scheinbar identischer Papierbäumchen auf dem Boden erinnert daran, dass auch die Natur stets mit Thema und Variation arbeitet. Mit Geblüt und Gemüt.

Daniel Völzke

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