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Kultur: Brüderduell

„Goldener Westen“ im Renaissance-Theater

Auch im Renaissance-Theater zirpen zu Beginn die Grillen, klar. Das muss so sein, wenn Sam Shepards „Goldener Westen“ gespielt wird, diese Fabel von zwei Brüdern am Rande der inneren und äußeren Wüstenei, der Text verlangt die Soundkulisse amerikanischer Prärie, er will Coyotengeheul draußen und Zähneklappern drinnen, um vom Widerstreit zwischen freier Wildbahn und domestiziertem Leben erzählen zu können. Ein bisschen Naturalismus hat noch keinem Regisseur geschadet, wird sich Frank Hoffmann gedacht haben, Gründer des Théâtre National du Luxembourg und Leiter der Ruhrfestspiele, wo das Shepard’sche Dialogduell aus dem Jahr 1979 bereits Premiere feierte – warum also nicht illustrieren, wo’s Spaß macht? Vom Trampolin der Texttreue lässt sich ja auch bestens in die ironische Distanz abheben. Immer wieder beispielsweise holen sich die Brüder Austin und Lee aus dem Kühlschrank in Christoph Rasches ödem Ein-Zimmer-Bühnenbild ihr Budweiser, am Ende aber kriecht die Mutter (Christiane Rausch) aus der Kälte, heimgekehrt von einer Alaskareise. Zum Schießen. Und genau diesen Spagat zwischen Dekoration und Dekonstruktion versucht die Inszenierung unentwegt. Bloß landet sie dabei nach wenigen Minuten auf dem Hintern.

Das Dilemma beginnt bei der Besetzung der beiden Brüder, in deren Konflikt man die Identitätskrise des modernen Mannes gespiegelt sehen soll – ein Vorläufer von David Finchers „Fight Club“. Eralp Uzun gibt den jungen Drehbuchautor Austin, der während Mutters Abwesenheit ihre Wohnung hütet: Ein Kunststreber im knöchelkurzen Karoanzug, der brav an den amerikanischen Traum glaubt. Oktay Özdemir stört bald den Frieden als Outsider Lee, der in der Wüste lebt, klaut und flucht, aber seinem Bruder mit einer B-Movie-Räuberpistolen-Story den Hollywood-Produzenten (Milton Walsh als Klischee mit Sonnenbrille) abspenstig macht. Urwüchsiges Talent contra Kunstanstrengung! Weder Uzun noch Özdemir sind schlechte Schauspieler. Doch der kabarettistische Schnoddertonfall („Alter, isch hab auch mal in Kunst gemacht“) wirft die Frage auf, was Erkan und Stefan eigentlich im Wilden Westen verloren haben. Hinzu kommt, dass Sam Shepards Frontier-Stück nicht gut komponiert ist und weit hinter Tennessee Williams’ Amerika-Bildern der mühsam gedeckelten Familienhysterie zurückbleibt. Sicher, Shepard verhandelt ein aktuelles Thema, den Niedergang amerikanischer Mythen. Aber die Regie hätte sich entscheiden sollen, ob das ein Stoff für eine Tragödie oder Farce ist. Patrick Wildermann

Wieder am 30.9., 1.10. und 2.10., 20 Uhr

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