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Sie schreibt Beiträge mit Persönlichkeit - und das ganz und gar kekskrümelfrei: Die Bloggerin Julia Schmitz.

© Sven Darmer

Buch-Blogger: „Ich bin nicht das Feuilleton!“

Vormarsch des Subjektiven: Warum Buchblogs Tausende Leser finden, aber meist keine Literaturkritik liefern.

Wie gut ein Buch ist, sagt die Zahl der Kekskrümel. Ein Kekskrümel: mies. Fünf Kekskrümel: hervorragend. Wem das nicht reicht, für den gibt’s zusätzlich eine Rezension in „Brösels Bücherregal“, dem Blog von Daniela Brose. Einem von 1238 deutschen Bücherblogs, das monatlich von 6000 Menschen gelesen wird, verfolgt von 3090 Twitter-, 1773 Facebook- und 1672 Instagram-Nutzern. 92 Prozent der Blogger sind dem Blog lesestunden.de zufolge weiblich, 89,7 Prozent ihrer Leser Media-Analysen zufolge ebenfalls. 53 Prozent der in Blogs besprochenen Bücher sind Krimis, Fantasy- und Jugendbücher. Blogger sind damit die Stiftung Warentest für Genreliteratur.

Starke Thesen, schwache Argumente

Was Blogger gegenüber Berufskritikern aber oft vermissen lassen, sind Argumente. Sie urteilen gerne ohne langes Gerede. „Laaaaaaaaaaangweilig und die weibliche Hauptfigur ist zum abgewöhnen unselbstständig und...äh...strohdoof“, schreibt etwa Svenja Borghans als „BuchFresserchen“ über Lisa Wiedmeiers Mystery-Romance-Thriller „Cheyenne“.

Oder Brösels Urteil über Anna Todds „After Passion“, einen Liebesroman im Gefolge von E.L. James’ „Shades of Grey“: „Generell macht der Titel, mit der Betonung auf ‚After’, dem Inhalt alle Ehre, denn es ist weder was Besonderes, noch Neues, noch gut.“ Es gilt das betont Subjektive: „Die Hauptfigur war mir gleich wieder sympathisch, weil sie auch so gerne isst wie ich!“, ist beispielsweise in einer Rezension über Rita Falks Provinzkrimi „Winterkartoffelknödel“ zu lesen.

Gegenbeispiel aus Berlin

Julia Schmitz (bis zu 5000 Seitenaufrufe im Monat) ist eine von denen, die das anders machen. Ihren ersten Blog beginnt sie in Köln. Schmitz ist damals, anno 2008, Lokaljournalistin. Weil kleine Veranstaltungen in ihrer Zeitung oft keinen Platz finden, schreibt sie darüber auf eigene Faust. Nicht lange, da spricht sich ihre Homepage rum. Denn Schmitz ist die Erste, die ein solches Angebot präsentiert.

Mit ihrem Umzug nach Berlin ändert sich das. Hier ist sie eine von vielen, die über Ausstellungen, Veranstaltungen und vor allem Literatur schreiben. 38 Berliner Konkurrenz-Blogger waren es im Mai dieses Jahres. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, überarbeitet sie ihre Webseite, ändert das Profil und nennt sich seit 2008 „Fräulein Julia“. Leicht, locker und naiv klingt das. „Und das soll es auch“, sagt Schmitz. Dazu passend ihre Selbstbeschreibung auf fraeuleinjulia.de: „Lesewurm, Flâneuse, Frischluftfanatikerin, Tagträumerin.“

Klicks bringt das Persönliche

Solche Eigencharakterisierungen sind beliebt. Die meisten inszenieren sich als chaotisch-verrückte Leseratten, kaffeesüchtig mit Vorliebe für das Besondere, als Muss-Man-Einfach-Liebhaben-Persönlichkeiten. Brösels Website-Untertitel lautet „Frech. Fränkisch. Verrückt nach Büchern.“

Schmitz‘ Vater war Buchhändler. Sie studierte Germanistik und rezensiert als freie Journalistin vornehmlich Berlin-Bücher. Bewertungen verfasst sie grundsätzlich in der ersten Person Singular. „Ich bin nicht das Feuilleton“, sagt denn auch Fräulein Julia. „Ich will in meinen Beiträgen subjektiver sein, will mehr von meiner Persönlichkeit reinbringen.“

Einmal wöchentlich teilt sie mit, was sie so alles gegessen, gelesen, gedacht und gesehen hat. Und diese Artikel werden am häufigsten gelesen. „Man kann die tollsten Sachen schreiben, aber am Ende wollen die Leute Bilder von mir und einen Wochenrückblick“, gesteht sie lachend. Dabei sei sie stets darauf bedacht, nie zu viel von sich preiszugeben. Kein Liebesleben, keine Familie, keine Sorgen. Viele Blogger sind da deutlich freizügiger und nutzen die digitale Plattform als Therapiesitzung. Sie erzählen von Depressionen, Beziehungsproblemen oder Krankenhausaufenthalten. Die Rezensionen fallen jedoch meist gutgelaunt aus. 86 Prozent der besprochenen Bücher werden laut lesestunden.de mit vier oder fünf von fünf Sternen bewertet. Immer wieder wurden Blogger deswegen Zielscheibe harscher Kritik. „Klar bewerte auch ich hauptsächlich positiv“, sagt Julia Schmitz. „Das ist meine Freizeit, die ich in den Blog investiere. Ich mache damit ja kaum Geld. Warum soll ich also Zeit mit etwas Schlechtem verschwenden?“

Blogger kümmern sich ums Genre, Kritiker um Literatur

Das interessiert auch Verlage. „Indem wir unsere Bücher auch Bloggern zukommen lassen, wollen wir eine gute Atmosphäre für unsere Bücher schaffen und eine gute Verbindung zu unserer Zielgruppe aufbauen“, sagt Knut Amos vom Stuttgarter Klett-Cotta-Verlag. Seit anderthalb Jahren geht der Verlag auch aktiv auf Blogger zu. Besonders aktiv wirbt die Verlagsgruppe Random House um ihre Blogger. Sie baute ein eigenes Webportal und wirbt in einem Video: „Also – jetzt anmelden! Wir freuen uns!“ Bei „speziellen Bloggeraktionen“ können Blogger sogar Autoren treffen oder an Fragerunden teilnehmen.

Dabei steht nicht einmal fest, dass sich Blogger-Rezensionen positiv auf den Verkauf von Büchern auswirken, sagt Silke Ohlenforst vom Berliner Aufbau Verlag: „Aber es wäre aber falsch, diese Szene zu ignorieren, die ja im Gegensatz zu den professionellen Kritikern aus interessierten Lesern besteht und schon alleine deshalb oftmals näher am Buchkäufer ist als mancher Feuilletonist.“

Laut Ohlenhorst gibt es eine Art Trennung: Um Genreliteratur kümmern sich vornehmlich Blogger, um Literatur vornehmlich die Kritiker. „Die Zeitungskritik geht tiefer und ist intellektueller. Sie fällt meistens fundierter und mit mehr Sachkenntnis aus – eben wie es zu Besprechungen von wirklich literarischen Titeln passt. Sie überblickt den Büchermarkt unabhängig vom individuellen Geschmack und setzt sich literaturwissenschaftlich mit Büchern auseinander.“ Das heißt nicht, dass Blogger nicht auch über Literatur schreiben, das tun sogar recht viele, aber der Durchschnitt tut es nicht. Und das heißt auch nicht, dass Blogger nicht auch intelligente, schöne und fundierte Kritiken schreiben. Das zeigen Blogs wie fraeuleinjulia.de, buchkolumne.de oder writeaboutsomething.wordpress.com.

Blogs als Werbeplattform

Die meisten Verlage weisen darauf hin, dass ihre Blogger schreiben können und sollen, was sie wollen. Gerne auch kritisch. Hauptsache, sie kopieren keine Amazon-Bewertungen, um kostenlos Bücher zugeschickt zu bekommen. Allerdings gibt es auch solche, die sich Blogger „kaufen“. Der Blog beautybooks.at beispielsweise verlinkt bei allen Büchern auf den Weltbild-Onlineshop, macht Werbung für den „tolino“ von Weltbild („Ein toller eBook Reader der bereits mein Herz erobert hat!“) und verlost gleich auch noch einen. Auch Julia Schmitz bietet Advertorials an. Das heißt: bezahlte, positiv geschriebene Besprechungen, die sie allerdings kennzeichnet. Anders als bei Schmitz ist Werbung ohne Kennzeichnung jedoch gängige Praxis. Kontrollen gibt es kaum.

„Mittlerweile kommen die kuriosesten Angebote“, erzählt Schmitz. „Da heißt es dann, man sei auf meinen Blog gestoßen und ganz begeistert davon. Und dann soll man auf irgendeine Online-Poker-Seite verlinken.“ Schmitz beantwortet solche Mails gar nicht mehr. Andere hingegen nehmen das schnelle Geld dankend an.

Kunden wollen externe Informationsquellen

Buchhandlungen, die eigene Blogs betreiben, geht es vor allem um Kundenbindung. Wie bei „ocelot“ in Berlin. Auf der Homepage gibt es Empfehlungen, natürlich subjektiv: „Donnerlittchen, und jetzt stehe ich vor dem Problem, dass ich kaum über das Buch sprechen kann, ohne wie ein verknallter Teenager zu klingen“. Mit diesen Besprechungen will „ocelot“ den eigenen Webshop „personalisieren, Gesicht zeigen und authentisch sein“, so Buchhändlerin Maria-Christina Piwowarski. Dazu gibt’s Tipp-versehene Facebook-Posts und Kunden-Newsletter.

Der Buchhandel rüstet sich damit für die Zukunft (und gegen Amazon). Denn laut einer Studie des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels bevorzugen Menschen beim Buchkauf zunehmend „Informationsquellen, die sie aktiv aufsuchen.“ Blogs sind solch eine Quelle – mit allen notwendigen Einschränkungen. Wer Kritiken sucht, muss weiterhin im – kekskrümelfreien – Feuilleton blättern.

Julius Heinrichs

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