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Ballroom-Blitz. Typische Tom-Wolfe-Szene vor einem Restaurant in Miami Beach. Foto: laif

© BARBARA P FERNANDEZ/The New York

Buch der Woche: Sex, Rasse, Geld

Unterhaltsamer Holzhammer: Tom Wolfes Miami-Roman „Back To Blood“.

Nach der Lektüre von knapp achthundert Seiten fragt man sich, ob Floridas Metropole Miami wirklich so ist, wie Tom Wolfe uns das in seinem Roman „Back To Blood“ weismachen will: eine Stadt, in der es um nichts anderes geht als Geld und Sex. Um gesellschaftlichen Aufstieg und ethnisch-rassistische Abgrenzungsgefechte. Eine Stadt, die nur versteht, wer weiß, „dass hier jeder jeden hasst“, wie eine Haitianerin einmal sagt. Eine Stadt schließlich, deren Oberschicht und Reiche in der Regel zwar die „Anglos“ sind, die weißen, angelsächsischen Protestanten nämlich, die noch immer glauben, dass die Migranten die „Fremden“ sind. In der es aber inzwischen genau umgekehrt ist, wie nicht nur der zu den 60 Prozent kubanischstämmiger Bevölkerung gehörende Polizist Nestor Camacho weiß, einer der Helden dieses Romans: „Wenn es überhaupt Fremde in Miami gibt, dann sind sie es. Ihr blonden Schwachköpfe ...“

Das Schöne an „Back To Blood“ aber ist, dass es eigentlich keine Rolle spielt, wie es in Miami wirklich zugeht. Es ist eine Tom-Wolfe-Realität, die wir hier serviert bekommen, mit vielen Comic- und Pulp-Elementen, ein Tom-Wolfe-Miami, ein vor allem schwarz-weißes (oder schwarz-blondes) Gesellschaftspanorama, wie es nur die New-Journalism-Legende Wolfe zu schreiben in der Lage ist. Will heißen: Alles in diesem Roman ist extrem schrill, extrem laut, extrem over the top und dann auch wieder unglaublich nah und unglaublich komisch.

Allein die ersten beiden, den Roman konstituierenden Szenen bereiten großen Spaß. In der ersten sind der Chefredakteur des „Miami Herald“, Edward T. Topping IV, und seine Frau Mac auf dem Weg in Miamis gerade angesagtesten Nachtclub, nicht zufällig „Balzac’s“ geheißen, „Back To Blood“ soll schließlich ein weiterer Teil von Wolfes uramerikanischer menschlicher Komödie sein. Auf dem Parkplatz werden sie in ihrem Green Hybrid, einem „momentan todschicken und moralisch erleuchteten Fahrzeug“, von einem Ferrari ausgebremst, was eine erregte, auf Englisch hier und Spanisch dort geführte Diskussion zwischen Mac („Rede Englisch, du jämmerliche Irre!“) und der Ferarri-Fahrerin, einer Latina („No, mí malhablada puta gorda, wir sind jetzt in Mii-ah-mii“!), nach sich zieht.

In der zweiten Szene leistet Wolfes Hauptfigur Nestor Camacho gerade bei der Marine Dienst und muss einen kubanischen Flüchtling vom zwanzig Meter hohen Mast eines Bootes holen. Ganz Miami ist dabei: auf dem eine Meile vom Ufer der Biscayne Bay entfernten Highway oder später vor dem Fernseher, denn die Aktion wird live übertragen. Nestor Camacho wird zum Star und Buhmann zugleich: vom „Miami Herald“ und seinen Polizeikollegen als Retter gefeiert; vom „El Nuevo Herald“ als Verrat an den Exilkubanern und Fidel-Castro-Gegnern geschmäht, zumal nicht zuletzt Camachos Eltern in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus Kuba geflohen sind.

Tom Wolfe versteht sich auch im Folgenden auf spektakuläre Settings: in Szenerestaurants, Stripteaseclubs, auf den Reichen-Inseln Fisher Island und Star Island, in Kleine-oder-arme-Leute-Vierteln wie Hialeh und Overtown, auf der Art Basel Miami oder in einem heruntergekommenen Seniorenwohnheim. Worauf er sich nicht versteht, was er aber auch gar nicht will, das sind Zwischentöne, das sind psychologisch ausdifferenzierte Figuren; Figuren, die mehr im Kopf haben als Ruhm, Geld und Sex. Wenn Nestor Camacho etwa einmal nachdenklich wird und die Bildung einer Haitianerin bewundert, kann er trotzdem den Blick nicht von ihrem Körper lassen. Das passt. Fragwürdiger, ungelenker wird es, wenn Camachos Exfreundin, die rassige, aufstiegsbewusste und dafür viel in Kauf nehmende Magdalena, die zweite Hauptfigur des Romans, dauernd ihre Bildungslücken reflektiert. Am Ende gar merkt sie, dass ihre Liebhaber (ein auf Pornosucht spezialisierter, völlig durchgeknallter Psychiater, ein russischer Oligarch) sie wie der letzte Dreck behandeln.

Da klappert es, das glaubt man ihr und Wolfe nicht. Und es passt auch nicht in ein grell-schillerndes Romangefüge, das nicht nur mit seinen vielen Gedankenstrichen und Wörtern in Großbuchstaben etwas Üppig-Ausuferndes hat, aber doch geschickt von einem simplen Plot (Polizist und junger Wasp-Journalist auf der Spur eines Kunstfälschungsskandals) zusammengehalten wird.

Blut ist die eine Währung, mit der in Miamis Gesellschaft und der amerikanischen überhaupt gezahlt wird, Sex die andere, noch härtere – so lautet die Botschaft dieses Romans. Die sendet Tom Wolfe zwar ausschließlich mit dem Holzhammer: klatsch, klatsch, klatsch. Aber enorm kurzweilig und unterhaltsam.

Tom Wolfe: Back To Blood. Roman. Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Müller. Blessing Verlag, München 2013. 768 Seiten, 24,99 €

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