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Traditionsreich: Das St. Hedwig-Krankenhaus in Mitte, es wurde 1846 gegründet und ist damit nach der Charité das zweitälteste große Krankenhaus Berlins.

© promo

Buch über Scheunenviertel und Spandauer Vorstadt: Singende Nonnen mit der Bombe in der Hand

Multikulti anno dazumal, NS-Widerstand und ein fliegender Alligator: Ein neues Buch lädt zum spannenden Bummel durch Geschichte und Gegenwart des Scheunenviertels ein.

Beten hilft auch gegen Bomben. Das war ihre Zuversicht, als die Nonnen im St. Hedwigs-Krankenhaus an der Großen Hamburger Straße in Mitte in den letzten Kriegstagen einen Sprengkörper betend und singend durchs Treppenhaus nach unten trugen. Der war auf dem Speicher ihrer Klinik gelandet, aber nicht explodiert. In einer Grube legten sie den noch scharfen Blindgänger ab. Dann dankten sie ihrer Schutzpatronin, der Heiligen Agatha, die ihre Hände schon zuvor über die traditionsreiche katholische Klinik gehalten hatte, in der sie Kranke pflegten: St. Hedwig erlitt kaum Bombenschäden. Das ist eine von vielen ungewöhnlichen Geschichten aus dem Scheunenviertel und der Spandauer Vorstadt, die ein neues Buch des L&H- Verlages Berlin spannend erzählt.

Bedrohte Juden wurden in der Infektionsstation versteckt

Couragiert waren die Nonnen übrigens während der ganzen NS-Zeit und später unterm SED-Regime: Sie retteten Juden, indem sie diese in der Infektionsstation versteckten. Sie beschäftigten Menschen, die in der DDR Berufsverbot hatten.

Mal einen Blick auf den blumengeschmückten Agatha-Brunnen im Hof von St. Hedwig werfen? Die Autoren nehmen ihre Leser an die Hand und führen sie in die beeindruckende Anlage im Herzen des einzigen Berliner Stadtviertels, das fast geschlossen erhalten geblieben ist. Es kann mit Bauwerken aus drei Jahrhunderten aufwarten.

Ein bisschen Orient an der Oranienburger Straße. Über den Dächern glänzt die goldene Kuppel der Neuen Synagoge. Das Vorgängergebäude wurde 1938 zerstört, 1995 wurde das wiederaufgebaute jüdische Gotteshaus neu eröffnet.
Ein bisschen Orient an der Oranienburger Straße. Über den Dächern glänzt die goldene Kuppel der Neuen Synagoge. Das Vorgängergebäude wurde 1938 zerstört, 1995 wurde das wiederaufgebaute jüdische Gotteshaus neu eröffnet.

© picture-alliance/ dpa, Soeren Stache

Multi-Kulti gehörte hier schon anno dazumal zum Alltag. Mit gutem Grund wurde die Große Hamburger Straße bereits zur Kaiserzeit und in der Weimarer Republik auch „Toleranzstraße“ genannt. Juden, Christen und Menschen aus ganz Europa wohnten dort zusammen. Und nach der Wende hat sich die Gegend rund um den Hackeschen Markt und Rosa-Luxemburg-Platz zum angesagten Ort des Kultur- und Nachtlebens im Zentrum der Bundeshauptstadt entwickelt.

Eine kleine Wallfahrt zu Kusnt und Kulinarik

Kreuz und quer geht der Entdeckungsbummel durch die Vergangenheit und Gegenwart des populären Stadtquartiers. Originelle frühere „Hotspots“ werden wieder lebendig wie das Volkskaffeehaus in der Neuen Schönhauser Straße. Man steht vor den Häusern berühmter einstiger Kulturschaffender und Wissenschaftler. Und genießt das Viertel bei einer kleinen Wallfahrt zu Kunst und Kulinarik von heute – beim Sabbat-Diner des jüdischen Lokals „The kosher Classroom“, im „Anna Koschke“, im „Zosch“, in Galerien und Museen mit Pfiff wie Me Collectors Room, in dessen Wunderkammer ein Alligator an der Decke den Rachen aufreißt.

Wolfgang Feyerabend, Thomas Raschke, Veit Stiller: Das Scheunenviertel und die Spandauer Vorstadt. L & H Verlag Berlin, 199 Seiten, 70 Abbildungen, 19,80 Euro.

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