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Knallbonbon am Eck. Das „Museum der Unschuld“.

© Stefan Berkholz

Buch zum Begehen: Orhan Pamuks Roman-Museum wird bald eröffnet

Das „Museum der Unschuld“ wird in ein paar Wochen im Istanbuler Stadtteil Cukurcuma eröffnet. Den Besucher erwartet der zum Leben erwachte gleichnamige Roman, der die Alltagskultur im Istanbul der siebziger Jahre porträtiert.

Noch wird gehämmert, gebastelt und emsig arrangiert. In ein paar Wochen wird Orhan Pamuks Istanbuler „Museum der Unschuld“ im Stadtteil Cukurcuma mit etwas Glück endlich eröffnet. Es soll nicht nur Leser des Schriftstellers anziehen, sondern auch alle, die sich für die Alltagskultur im Istanbul der siebziger Jahre interessieren – auch wenn man sich mit dem gleichnamigen Roman in der Hand leichter orientieren kann. Wer ihn mitbringt, muss nicht einmal Eintritt zahlen.

Sucht man den Weg zum Museum, kommt man durch ein graues und ärmliches Viertel. Das Pflaster ist aufgebrochen, der Putz an vielen Gebäuden rissig, ein qualmendes Ofenrohr stakt aus einem Fenster, Holzhäuser dämmern windschief vor sich hin. An der Ecke von Cukurcuma-Straße und Dalgic-Gasse aber sticht ein rotes Knallbonbon aus der Tristesse hervor, das dreistöckige Eckhaus von 1894, das seit anderthalb Jahren zwei junge deutsche Frauen zusammen mit dem türkischen Literaturnobelpreisträger einrichten. „Es wird so etwas wie ein Gesamtkunstwerk“, sagt Johanna Sunder-Plassmann, die Künstlerin. Einen „Zwilling zum Buch“ verspricht die Produktdesignerin Carlotta Werner.

Vor einem guten Dutzend Jahren kaufte Orhan Pamuk das leer stehende Eckhaus. Er hatte einen Roman im Sinn, der in einem alten Istanbuler Wohnhaus spielen sollte. Von 2001 bis 2008 schrieb Pamuk an seiner Geschichte vom „Museum der Unschuld“. Sie handelt von einem unglücklichen Liebhaber, Kemal, der zum manischen Sammler von Gegenständen seiner Geliebten Füsun wird. Schon der Roman spielt mit Wirklichkeit und Fiktion. Nun wird das Ganze im Puppenstubenformat noch einmal Wirklichkeit – eine reizvolle Angelegenheit, aufgefächert in 83 Kapitel. Genau so viele wie in Orhan Pamuks Roman.

„Es beginnt mit dem Ohrring, den Füsun verliert, während sie sich mit Kemal im Merhamet Apartmani trifft“, erklärt Johanna Sunder-Plassmann im Foyer. Unter dem Dach endet der Rundgang in jener Kammer, in der Kemal, umgeben von Gegenständen seiner Geliebten, am Ende in einem Bett liegt und durch das offene Treppenhaus hinunter zu den Museumsbesuchern guckt.

In Ausstellungsboxen und dreidimensionalen Nachbildungen der Romanwelt erstreckt sich die Ausstellung über drei Etagen. Das Wohnhaus wurde dafür völlig entkernt. Man hat Stahlträger eingezogen, damit das Museum erdbebensicher ist. Das deutsche Architektenbüro Sunder-Plassmann schuf die Innenarchitektur. In Box 14 beispielsweise, die Kapitel 14 nachbildet, ist auf einem Foto im Hintergrund eine Hafenszenerie in der Nähe des Dolmabahce-Palastes zu sehen. Davor steht ein kleines Auto, ein Modell der Marke Mustang, in dem Füsun einst einen ihrer Liebhaber küsste. Daneben, davor und dahinter sind ein paar jener Gegenstände zu sehen, die Füsun in der Hand hatte, als sie Kemal von ihrer Vergangenheit erzählte: ein Teeglas, halb gefüllt, eine Zigarettenschachtel, eine Haarspange, eine Muschel, mit der sie spielte. Das Thema dieser Box: Eifersucht. Ein Food-Designer wird „Lebensmittel“ formen, ein Soundkünstler für Geräusche sorgen. Pamuk wird Zeichnungen zur Verfügung stellen, ein paar Texte, auch Musik.

Trotz der vielen Alltagsgegenstände bleibt dieses Museum so rätselhaft wie sein Gegenstand: die Liebe. Ein verträumter Krimskramsladen, ein Stadtmuseum der besonderen Art, die Realisierung eines bizarren Romans für die Ewigkeit.

Was Pamuk mit seinem Museum vermitteln will, hat er im Roman verraten: Glück. Ist es nicht das „Ziel von Roman und Museum, unsere Erinnerungen so aufrichtig wie möglich zu erzählen und dadurch unser Glück in das Glück anderer zu verwandeln?“

Orhan Pamuk stellt heute, Dienstag, um 20 Uhr im Berliner Renaissance-Theater seinen gerade im Hanser Verlag erschienenen Roman „Cevdet und seine Brüder“ im Gespräch mit Joachim Sartorius vor.

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